Fall: Schweigsamer Sammler
A. Sachverhalt
Reiselustig (R) kauft nahezu alle Neuerscheinungen von CD-s mit Musik von J. S. Bach. Er ist auch Stammkunde im Plattenladen des Geschäftig (G). R ist in letzter Zeit allerdings so viel unterwegs, dass er Angst hat, Raritäten und Einzelstücke bei ihrem Erscheinen zu verpassen. Er bittet deshalb G, für ihn die limitierten Auflagen und ähnliche Sonderausgaben mit Musik von Bach auszusortieren und jeweils ein Angebot per E-Mail zuzusenden. Sollte R innerhalb einer Woche nicht antworten, soll G die jeweilige Ausgabe für R besorgen, auch wenn sie mehrere CD-s umfasst.
Eines Tages erfährt G, dass eine Gesamtausgabe der Werke von Bach in einer Sammlerbox mit 50 CD-s für 200 EUR in einer speziellen Sonderedition mit nur 2000 Exemplaren weltweit erscheint. Er besorgt eine Werbebroschüre zu dieser Ausgabe und sendet sie mit der Information über die Verfügbarkeit per E-Mail dem R zu. Da sich R daraufhin 14 Tage lang nicht meldet, bestellt G die Box und stellt diese für R bereit.
Als R sich über längere Zeit weiter nicht meldet, ruft ihn G an und fragt, wann er die Bach-Sammlung abholt und bezahlt. Daraufhin will R nichts von dem Kauf wissen. Er meint gegenüber G, dass er nichts bestellt habe.
B. Frage
Muss R die Sammlung bezahlen?
C. Lösungshinweise
Innerhalb des allgemeinen Prüfungsaufbaus (Anspruch erworben, nicht verloren, durchsetzbar - bei "Erwerb" Vertragsschluss, Vertragsinhalt, Wirksamkeit) ist das Grundproblem zu prüfen - namentlich die Frage, ob ein Vertrag geschlossen wurde.
Dabei ist der Vertragsschluss wie gewohnt zu prüfen, d.h. alle Elemente müssen hier vorliegen:
- Angebot auf der einen Seite,
- Annahme auf der Anderen,
- Annahmefähigkeit (Bindung an den Antrag bei Annahme)
- Übereinstimmung.
Während das Angebot seitens G keine Fragen aufwirft (mit Hinweis auf Verfügbarkeit der Ware hat G ein Angebot an R gerichtet), ist die Annahme durch R problematisch. R hat hinsichtlich des Angebotes des G keine Erklärungen gemacht, so dass eine Annahmeerklärung seitens R nicht vorliegt. Auch eine Annahmehandlung im Sinne des § 151 BGB ist nicht auszumachen - im vorliegenden Fall schweigt R nur.
Und Schweigen ist keine Erklärung - auch keine konkludente!. Deshalb kann Schweigen grundsätzlich (bzw. zumindest normalerweise) keine Rechtsfolgen haben.
Die Abrede zwischen G und R führt allerdings dazu, dass das Schweigen eine rechtsgeschäftliche Bedeutung erlangt. Das Schweigen kann dann, wenn die Parteien dies so vereinbaren, bestimmte Wirkung entfalten. Dies ist auch in diesem Fall so: das Schweigen ersetzt gemäß Abrede zwischen G und R die Annahmeerklärung seitens R (sog. beredtes Schweigen).
Ein Vertrag ist somit geschlossen und R muss die Sammlung bezahlen.
Eine Lösungsskizze als Strukturbaum finden Sie hier.
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