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Dies ist eine alte Version von WIPR1Einfuehrung erstellt von WojciechLisiewicz am 2012-02-21 17:11:40.

 

WIPR I - Einführung in die juristische Methodik

Einstieg in die Rechtsanwendung

A. Rechtsnorm, Rechtsfolge, Voraussetzung
Die Begriffe "Rechtsnorm", "Rechtsfolge", "Voraussetzung" (oder "Tatbestandsmerkmal") stammen zwar aus der Begriffswelt der Rechtstheorie, sind aber für das Verständnis der Rechtspraxis unabdingbar. Sie sollen nachstehend an einem praktischen Beispiel erklärt werden.

1. Der Sachverhalt
Beispiel:
Grob (G) prügelt ohne jeglichen Grund den Fein (F) krankenhausreif. Glücklicherweise hat F keine bleibenden Schäden zu beklagen, die Behandlung im Krankenhaus war aber teuer. Deshalb verlangt F von G, dass G die Krankehausrechnung bezahlt.
Kann er das?
 

2. Etwas Theorie
An dieser Stelle sind zunächst die Begriffe Rechtsfolge und Rechtsnorm zu erklären. Denn eine Rechtsnorm ist eine Rechtsfolgenanordnung. In vielen Fällen hat die Rechtsfolge einen nachteiligen Charakter für den Normadressaten (Sanktion, z. B. Schadensersatzpflicht), dies ist allerdings nicht zwingend. Die Rechtsfolge ist auch nicht immer klar und deutlich formuliert; häufig muss das Gesetz noch ausgelegt werden, damit die Rechtsfolge klar wird. Dies ändert jedoch nichts daran, dass eine (sinnvolle) Norm ohne Rechtsfolge nicht existieren kann.

Die Rechtsfolge tritt ein, wenn die Tatbestandsvoraussetzungen der Norm erfüllt sind. Dabei ist allerdings möglich, dass eine einzelne Voraussetzung der (Haupt)Norm an sich so komplex ist, dass sie sich aus einer Reihe weiterer (Hilfs)Normen zusammensetzt, deren einzige Rechtsfolge ist, dass eine der (Unter)Voraussetzungen der (Haupt)Norm erfüllt ist (Detaillierter hierzu Adomeit/Hähnchen, Rechtstheorie für Studenten, Teil I: Normlogik - Was sind Normen, in der 3. Aufl. auf S. 17 ff.).

Mit anderen Worten - eine Norm mit der oben in etwa beschriebenen Komplexität kann schematisch wie folgender Satz aufgefasst werden:
A tritt ein wenn C und D; D tritt aber nur dann ein, wenn E und F

Auf diese Weise ist das Recht und die Rechtsanwendung - zumindest in ihrem handwerklichen Teil - eine reine Aussagenlogik. Diese Aussagenlogik ist zugleich Grundlage jeglichen juristischen Denkens.
An dieser Stelle folgender Crashkurs der Aussagenlogik:
  • eine Aussage (A, B, C) kann wahr (+) oder falsch (-) sein;
  • eine Aussage (A) kann eine Negation einer anderen Aussage (B) sein: A ist ¬ B;
  • zwei (oder mehr) Aussagen (B und C) können kumulativ eine Bedingung einer anderen (A) sein: A ist B ∧ C;
  • eine Aussage (A) kann vom alternativen Vorliegen (nur) einer von mehreren (B und C) abhängen: A ist B ∨ C;
Hinweise zur Vertiefung: Diese kurze Darstellung ersetzt selbstverständlich keine eingehende Beschäftigung mit der Aussagenlogik! Sollten Sie an dieser Stelle Defizite feststellen, dann holen Sie das bitte vor der weiteren Beschäftigung mit juristischen Fragestellungen dringend nach. Bereits hier ist darauf hinzuweisen, dass eines der entscheidenden Elemente des juristischen Denkens eine präzise Analyse, geradezu "Zerlegung" einer Norm in einzelne Aussagen gehört, wobei die innere Logik der Norm exakt verstanden werden muss.

Dies ist möglicherweise nur eine vereinfachte Darstellung der Rechtswissenschaft. Dieses gerade geschilderte, handwerkliche "Hantieren" mit Aussagen ist selbstverständlich nicht alles. Neben dem Handwerk benötigt der Jurist stets auch die juristische Kunst - d. h. die Fähigkeit, rhetorisch zu überzeugen, Argumentation zu formulieren, Auslegungsregeln anzuwenden etc. Werden diese Fähigkeiten allerdings an der handwerklich falschen Stelle eingesetzt, sind sie reine Zeitverschwendung. Grundlage der Rechtswissenschaft ist das juristische Handwerk.

Beispiel:
Wenn F im Beispiel oben gar keinen Schadensersatz haben will, sondern verhindern möchte, dass G ihn künftig verprügelt, hilft ihm eine Vorschrift, die vielleicht sogar passt (siehe unten: § 823 BGB), überhaupt nicht, wenn sie von der Rechtsfolge her keine Verhinderung künftiger Taten beinhaltet. Wenn ich weiß, dass ich eine Vorschrift mit der passenden Rechtsfolge benötige (hier: Unterlassung der Angriffe), dann vergeude ich meine Zeit nicht mit der Begründung einer Schadensersatzpflicht.
 
Die passende Norm zum Fall ist § 823 Abs. 1 BGB
Wer vorsätzlich oder fahrlässig das Leben, den Körper, die Gesundheit, die Freiheit, das Eigentum oder ein sonstiges Recht eines anderen widerrechtlich verletzt, ist dem anderen zum Ersatz des daraus entstehenden Schadens verpflichtet.

B. Bedeutung für das Fallbeispiel
Mit § 823 BGB existiert eine Norm, die eine Antwort auf die Fallfrage enthalten könnte. Dies ist deshalb so, weil diese Vorschrift in ihrer Rechtsfolge einen Schadensersatzanspruch vorsieht. Und gerade auf die Rechtsfolge der Norm kommt es an, um die Antwort auf die oben gestellte Frage vorweg zu nehmen.
Was dies allerdings im Einzelnen heißt, bedarf einer genaueren Erläuterung.
§ 823 Abs. 1 BGB enthält einige Voraussetzungen und auch eine Rechtsfolge, die für den Fall vorgesehen ist, in dem die Voraussetzungen der Vorschrift erfüllt sind.

 (image: https://hssm.hqedv.de/uploads/WIPR1Einfuehrung/skizze1.png)

Die zitierte Vorschrift stellt eine Lösung des Problems dar, wenn sie in ihrer Rechtsfolge das vorsieht, was der Fragende sucht. Da die Norm eine Pflicht zum Ersatz eines Schadens und damit (auf der anderen Seite) ein Recht statuiert, den Ersatz zu verlangen, könnte sie im Falle des verprügelten F eine Lösung sein - aufgrund dieser Norm könnte F verlangen, dass G ihm die Krankenhausrechnung ausgleicht. Mit anderen Worten: § 823 I BGB enthält die Rechtsfolge, die F sucht.

Da § 823 I BGB - zumindest nach genauerer Überlegung - das Recht des F enthält, von G etwas zu verlangen (§ 194 Abs. 1 BGB), ist diese Vorschrift zugleich eine Anspruchsgrundlage, also eine Hauptnorm für die Fallprüfung. Hilfsnormen sind in diesem Zusammenhang diejenigen Regeln, welche einzelne Voraussetzungen des § 823 Abs. 1 BGB definieren - als Beispiel ist die Definition der Fahrlässigkeit aus § 276 Abs. 2 BGB zu nennen.
An dieser Stelle ist die Bedeutung des Rechtsinstituts "Anspruch" für die Zivilrechtspraxis zu betonen, die noch ausführlicher zu behandeln ist - völlig gleichgültig, ob dieser Anspruch in materiellrechtlicher oder in prozessualer Hinsicht gemeint ist.


Die Antwort auf die Frage, ob im Beispielsfall die Schadensersatzpflicht besteht oder nicht, ist zunächst einmal zweitrangig. Die entscheidende Feststellung ist an dieser Stelle, dass die Rechtsfolge einer Norm (und auch einer geschriebenen Vorschrift, die eine Norm enthält) darüber entscheidet, ob diese Norm im jeweiligen Kontext eine Verwendung findet oder nicht (*)
(*) Dies gilt sowohl für Hauptnormen (im Zivilrecht Anspruchsgrundlagen) wie auch für Hilfsnormen. Bei einer Anspruchsgrundlage ist die Rechtsfolge stets ein Anspruch und bei der Analyse der jeweiligen Anspruchsgrundlage stellt sich nur die Frage, ob gerade ein solcher Anspruch benötigt wird, den die Norm dem Anspruchsteller gewährt. Bei einer Hilfsnorm ist die Frage, ob die jeweilige Norm in ihrer Rechtsfolge das feststellt, was der gerade relevante Prüfungspunkt ist.
. Stellt sich die Frage danach, ob jemandem ein Schadensersatz zusteht, hilft § 823 BGB, weil diese Vorschrift in ihrer Rechtsfolge die Schadensersatzpflicht enthält. Bei der Frage, ob jemand fahrlässig handelt, hilft diese Norm nicht mehr. Dafür aber § 276 Abs. 2 BGB (
Fahrlässig handelt, wer ...).

Kurz:
Denke immer von der Rechtsfolge her und fange die Lektüre einer Vorschrift (Analyse einer Norm) mit der Rechtsfolge an. Die Rechtsfolge entscheidet darüber, ob die Norm relevant ist oder nicht.


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