Urheberrecht
Fall 28 - Postkarten
Künstler C ist bekannt für seine Verhüllungswerke. Mitte 1995 entschloss er sich aufgrund eines vorher ersonnenen Projektes das Gebäude des Reichstages in Berlin zwei Wochen lang zu verhüllen. Dabei hatte er gewisse Vorgaben des Bauordnungsamtes bei der Verhüllung zu beachten, die aber auch andere Gestaltungsweisen als die dann schließlich realisierte zugelassen hätten. B, der eine Foto- und Bildargentur betreibt, lässt aufgrund einer von ihm erstellten Schwarzweißfotografie Postkarten herstellen und vertreibt diese in seinem Geschäft. Als C hiervon erfährt, sieht er hierin eine Verletzung seiner Urheberrechte und möchte das Vorgehen des B unterbinden. B entgegnet, es könne ihm nicht verwehrt sein, ein der Allgemeinheit gewidmetes Gebäude zu fotografieren und von der Abbildung Postkarten zu erstellen. Wie ist die Rechtslage? |
LösungC könnte gegen B ein Anspruch auf Unterlassung des Postkartenverkaufs gem. § 97 Abs. 1 S. 1 UrhG zustehen. A. Dann müsste der Realisierung des Projektes, den Reichstag zu verhüllen, urheberrechtlicher Schutz gem. § 2 UrhG zukommen. Die Verhüllung des Gebäudes zeichnet sich durch einen hohen Grad an Originalität aus und findet sein Vorbild allein in eigenen Werken des Künstlers. Eine besondere Schöpfungshöhe zeigt die Verhüllung durch die hiermit infolge der Wind- und Lichteinflüsse hervorgerufenen ständig wechselnden Farbschattierungen und Faltenbewegungen. Demnach handelt es sich hierbei um einen eigentümliche Schöpfung von individueller Prägung und damit um ein Werk i.S.d. § 2 Abs. 1 Nr. 4, Abs. 2 UrhG. B. In der Herstellung und dem Vertrieb der Postkarten ist zudem eine Vervielfältigung und Verbreitung des Kunstwerks, also des verhüllten Reichstags, i.S.d. §§ 16 Abs. 1, 17 Abs. 1 UrhG zu sehen. C. Fraglich ist aber, ob sich B nicht auf die Schrankenbestimmung des § 59 Abs. 1 S. 1 UrhG berufen kann. Nach dieser Vorschrift ist es zulässig, Werke, die sich bleibend an öffentlichen Wegen, Straßen oder Plätzen befinden, durch Lichtbild zu vervielfältigen und zu verbreiten. § 59 Abs. 1 UrhG will, indem es für an öffentlichen Orten befindlichen Kunstwerken Einschränkungen der Ausschließlichkeitsrechte vorsieht, dem Interesse der Allgemeinheit an der Freiheit des Straßenbildes Rechnung tragen. Aufgrund des hiermit für zulässig erachteten Eingriffs in eine grundgesetzlich geschützte Position ist die Schrankenbestimmung eng auszulegen. Bedenken gegen die Anwendung der Vorschrift bestehen allein hinsichtlich des Merkmals „bleibend“. Im Schrifttum besteht Einigkeit darüber, dass diese Voraussetzung gegeben ist, wenn sich ein Kunstwerk für seine natürliche Lebensdauer an einem öffentlichen Platz befindet. Es wäre daher denkbar, hier von einem bleibenden Kunstwerk auszugehen, weil es sich an dem öffentlichen Platz für die gesamte Dauer seiner Existenz befindet. Für das Merkmal „bleibend“ kann es aber nicht entscheidend sein, ob ein vorübergehend aufgestelltes Werk nach dem Abbau weiterhin besteht und gegebenenfalls erneut aufgestellt werden soll oder ob es mit der Deinstallation untergeht. Entscheidend muss daher vielmehr der Zweck sein, zu dem das geschützte Werk an dem öffentlichen Ort aufgestellt worden ist. Hier sollte der Reichstag nur für zwei Wochen verhüllt bleiben. Diese kurzzeitige Veränderung des Gebäudes ist so zu behandeln, als wenn C eines seiner Werke in einer kurzzeitigen Ausstellung präsentiert hätte. Das Merkmal „bleibend“ muss daher verneint werden, so dass die Vorschrift des § 59 Abs. 1 S. 1 hier nicht greift. D. Da auch die übrigen Voraussetzungen dieses Anspruchs gegeben sind, besteht also ein Anspruch gem. § 97 Abs. 1 S. 1 UrhG. |
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