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Thüringer Bauordnung [ThürBO]
Kommentar Prof. Dr. Sven Müller-Grune
§ 80 Bauüberwachung |
(1) Die Bauaufsichtsbehörde kann die Einhaltung der öffentlich-rechtlichen Vorschriften und Anforderungen und die ordnungsgemäße Erfüllung der Pflichten der am Bau Beteiligten überprüfen.
(2) Die Bauaufsichtsbehörde oder der Prüfingenieur überwachen die Bauausführung bei baulichen Anlagen hinsichtlich des von ihnen geprüften
1.
Standsicherheitsnachweises nach § 65 Abs. 3 Satz 1 und
2.
Brandschutznachweises nach § 65 Abs. 3 Satz 2
nach näherer Maßgabe der Rechtsverordnung aufgrund des § 87 Abs. 2. Bei Gebäuden der Gebäudeklasse 4 ausgenommen Sonderbauten sowie Mittel- und Großgaragen im Sinne der Rechtsverordnung aufgrund des § 87 Abs. 1 Nr. 3 ist die mit dem Brandschutznachweis übereinstimmende Bauausführung vom Nachweisersteller oder einem anderen Nachweisberechtigten im Sinne des § 65 Abs. 2 Satz 3 zu bestätigen.
(3) Im Rahmen der Bauüberwachung können Proben von Bauprodukten, soweit erforderlich, auch aus fertigen Bauteilen zu Prüfzwecken entnommen werden.
(4) Im Rahmen der Bauüberwachung ist jederzeit Zutritt zur Baustelle und Betriebsstätte sowie Einblick in die Genehmigungen, Zulassungen, Prüfzeugnisse, Übereinstimmungszertifikate, Zeugnisse und Aufzeichnungen über die Prüfungen von Bauprodukten, in die CE-Kennzeichnungen und Leistungserklärungen nach der Verordnung (EU) Nr. 305/2011, in die Bautagebücher und andere vorgeschriebene Aufzeichnungen zu gewähren.
(5) Die Kosten für die Überwachung nach Absatz 1, für die Probeentnahmen und Prüfungen nach Absatz 2 sowie aufgrund von Rechtsverordnungen nach § 87 Abs. 1 Nr. 6 und Abs. 3 trägt der Bauherr.
(6) Die Bauaufsichtsbehörde und der Prüfingenieur sollen, soweit sie im Rahmen der Bauüberwachung Erkenntnisse über systematische Rechtsverstöße gegen die Verordnung (EU) Nr. 305/2011 erlangen, diese der für die Marktüberwachung zuständigen Stelle mitteilen.
Kommentierung |
A. Normgeschichte
1. Historie
2. Gesetzesbegründung
2016
Absatz 1 enthält die allgemeine Befugnis zur Bauüberwachung und nennt als allgemeine Gegenstände der Bauüberwachung die formellen und materiellen Anforderungen an Bauvorhaben sowie die Einhaltung der Pflichten, die die am Bau Beteiligten treffen. Aus § 59 Abs. 2 ergibt sich, dass die Bauaufsichtsbehörde dabei nicht auf die Überwachung der Anforderungen beschränkt ist, die zum Prüfprogramm des jeweiligen bauaufsichtlichen Verfahrens gehören. Ob und in welchem Umfang eine Bauüberwachung stattfindet, steht im pflichtgemäßen Ermessen der Bauaufsichtsbehörde.Absatz 2 bildet das bauaufsichtlich-repressive Gegenstück zu dem in § 65 angelegten gestuften System der Kompensation entfallender bauaufsichtlicher (Präventiv-)Prüfungen.
Satz 1 enthält den Grundsatz, dass die Bauaufsichtsbehörde oder der Prüfingenieur die Bauausführung der prüfpflichtigen Bauvorhaben überwachen. Mit der Formulierung "… des von ihnen geprüften …" wird klargestellt, dass die Bauaufsichtsbehörde beziehungsweise der die Nachweise im Auftrag der Bauaufsichtsbehörde prüfende Prüfingenieur - vorbehaltlich abweichender Regelungen in der Rechtsverordnung nach § 87 Abs. 2 - jeweils auch die Bauüberwachung wahrzunehmen hat. Die nähere Ausgestaltung dieser Überwachung - ggf. auch der Verzicht darauf im Einzelfall - ist in der Rechtsverordnung nach § 87 Abs. 2 zu regeln.
Während hinsichtlich der Standsicherheit eine Überwachung der Bauausführung - unbeschadet der allgemeinen bauaufsichtlichen Befugnisse - nur für den Anwendungsbereich des Vier-Augen-Prinzips gesondert regelungsbedürftig erscheint und das ausnahmsweise Ausreichen einer Überwachung durch den Tragwerksplaner anstelle der Bauaufsichtsbehörde/des Prüfingenieurs gegebenenfalls in der Rechtsverordnung aufgrund des § 87 Abs. 2 zu regeln wäre, sieht Satz 2 unterhalb der Schwelle des Vier-Augen-Prinzips hinsichtlich des Brandschutzes bei Gebäuden der Gebäudeklasse 4 - ausgenommen Sonderbauten sowie Mittel- und Großgaragen - die "Bestätigung" der mit dem Brandschutznachweis übereinstimmenden Bauausführung durch den Nachweisersteller oder einen anderen Nachweisberechtigten vor. Diese abweichende Regelung ist deshalb gerechtfertigt, weil die Gebäudeklasse 4 der Hauptanwendungsfall der Bauweise mit hochfeuerhemmenden Bauteilen (vgl. § 26 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2, Satz 2 Nr. 2) sein wird, bei denen es auf eine besonders sorgfältige Bauausführung ankommt. Personenidentität zwischen Nachweisersteller und überwachender Person ist insoweit aus Gründen der Baupraxis nicht erforderlich. Um die Unterscheidung zwischen Prüfsachverständigen und überwachenden Fachplanern nicht zu verwischen, sollen Letztere nicht Bescheinigungen ausstellen, sondern die ordnungsgemäße Bauausführung "bestätigen".
Absatz 3 enthält eine weitere Möglichkeit, die Geeignetheit der verwendeten Bauprodukte zu überwachen. Danach kann die Bauaufsichtsbehörde zur Überprüfung der Bauprodukte Proben entnehmen. Das ist auch dann möglich, wenn die Bauprodukte nach den vorgelegten Verwendungs- und Übereinstimmungsnachweisen (scheinbar) in Ordnung sind.
Absatz 4 schafft ein Zutrittsrecht zur Baustelle und eine Einsichtsrecht in verschiedene Dokumente. Diese Dokumente müssen nach § 55 Abs. 1, § 71 Abs. 7 auf der Baustelle vorliegen.
Absatz 5 stellt klar, dass die Kosten der Bauüberwachung nach dem Verursacherprinzip vom Bauherrn zu tragen sind.
2018
Absatz 4 schafft ein Zutrittsrecht zur Baustelle und eine Einsichtsrecht in verschiedene Dokumente. Diese Dokumente müssen nach § 55 Abs. 1 und § 71 Abs. 7 auf der Baustelle vorliegen. Die Ergänzung um die Einsichtnahmemöglichkeit in CE-Kennzeichnungen und Leistungserklärungen ist zur Überprüfung der rechtmäßigen Verwendung europäisch genormter Bauprodukte erforderlich. Bezüglich der Leistungserklärung ist die Einsichtnahme in eine elektronische Fassung ausreichend.Absatz 6 soll die Zusammenarbeit zwischen der Bauaufsichtsbehörde und der Marktüberwachungsbehörde stärken. Durch das rechtzeitige Reagieren auf systematische Rechtsverstöße kann für alle Beteiligten der Überwachungsaufwand gemindert werden. Wird ein Rechtsverstoß nur bei einem einzelnen Bauvorhaben festgestellt, ist eine Mitteilung an die für die Marktüberwachung zuständige Stelle entbehrlich.
3. Verwaltungsvorschrift
80.1 „Ob“ und „Wie“ der Bauüberwachung sind in das Ermessen der Bauaufsichtsbehörde gestellt. Daher richtet sich die Erforderlichkeit im Einzelfall nach der Notwendigkeit der Überwachung überhaupt, die auch den Umfang bestimmt. Maßgeblich für das Ob und die Reichweite der Bauüberwachung ist die Schwierigkeit der Bauausführung im Einzelfall unter Berücksichtigung möglicher Folgen, die sich aus der Nichtbeachtung von Bauvorschriften ergeben können.
80.2 Die Bauüberwachung hinsichtlich der Einhaltung der geprüften bautechnischen Nachweise muss regelmäßig durch den Prüfingenieur erfolgen, der die Nachweise geprüft hat (vgl. § 13 Abs. 5, § 19 Abs. 2 ThürPPVO). Eine Einbeziehung der Nachweisersteller in die Überwachung durch Verlangen einer Erklärung über die Einhaltung des Nachweises ist nicht möglich, da das Vieraugenprinzip erfordert, dass derjenige die Bauüberwachung durchführt, der auch den jeweiligen Nachweis geprüft hat.
B. Normauslegung
Zitiervorschlag:
Müller-Grune Sven, Kommentar zur Thüringer Bauordnung, Schmalkalden 2017, § 80.
© Prof. Dr. Sven Müller-Grune |
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