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Version [82814]

Dies ist eine alte Version von ThuerBO6 erstellt von MarcelOschmann am 2017-08-13 18:54:22.

 

Thüringer Bauordnung
[ThürBO]
Kommentar
Prof. Dr. Sven Müller-Grune




§ 6
Abstandsflächen, Abstände



(1) Vor den Außenwänden von Gebäuden sind Abstandsflächen von oberirdischen Gebäuden freizuhalten. Für bauliche Anlagen, andere Anlagen und Einrichtungen, von denen Wirkungen wie von Gebäuden ausgehen, gilt Satz 1 gegenüber Gebäuden und Nachbargrenzen sinngemäß. Eine Abstandsfläche ist nicht erforderlich

1. vor Außenwänden, die an Grundstücksgrenzen errichtet werden, wenn nach planungsrechtlichen Vorschriften an die Grenze gebaut werden muss oder gebaut werden darf, oder

2. soweit nach der umgebenden Bebauung im Sinne des § 34 Abs. 1 Satz 1 BauGB abweichende Gebäudeabstände zulässig sind.

(2) Abstandsflächen sowie Abstände nach § 30 Abs. 2 Nr. 1 und § 32 Abs. 2 müssen auf dem Grundstück selbst liegen. Sie dürfen auch auf öffentlichen Verkehrs-, Grün- und Wasserflächen liegen, jedoch nur bis zu deren Mitte. Abstandsflächen sowie Abstände im Sinne des Satzes 1 dürfen sich ganz oder teilweise auf andere Grundstücke erstrecken, wenn öffentlich-rechtlich gesichert ist, dass sie nicht überbaut werden; Abstandsflächen dürfen auf die auf diesen Grundstücken erforderlichen Abstandsflächen nicht angerechnet werden.

(3) Abstandsflächen dürfen sich nicht überdecken; dies gilt nicht für

1. Außenwände, die in einem Winkel von mehr als 75 Grad zueinander stehen,

2. Außenwände zu einem fremder Sicht entzogenen Gartenhof bei Wohngebäuden der Gebäudeklassen 1 und 2 und

3. Gebäude und andere bauliche Anlagen, die in den Abstandsflächen zulässig sind.

(4) Die Tiefe der Abstandsfläche bemisst sich nach der Wandhöhe; sie wird senkrecht zur Wand gemessen. Wandhöhe ist das Maß von der Geländeoberfläche bis zum Schnittpunkt der Wand mit der Dachhaut oder bis zum oberen Abschluss der Wand. Die Höhe von Dächern mit einer Neigung von weniger als 70 Grad wird zu einem Drittel der Wandhöhe hinzugerechnet. Anderenfalls wird die Höhe des Dachs voll hinzugerechnet. Die Sätze 1 bis 4 gelten für Dachaufbauten entsprechend. Das sich ergebende Maß ist „H“.

(5) Die Tiefe der Abstandsflächen beträgt 0,4 H, mindestens 3 m. In Gewerbe- und Industriegebieten sowie in Sondergebieten, deren Nutzung mit einem Gewerbe- oder Industriegebiet vergleichbar ist, genügt eine Tiefe von 0,2 H, mindestens 3 m. Vor den Außenwänden von Wohngebäuden der Gebäudeklassen 1 und 2 mit nicht mehr als drei oberirdischen Geschossen genügt als Tiefe der Abstandsfläche 3 m. Werden von einer städtebaulichen Satzung oder einer Satzung nach § 88 Außenwände zugelassen oder vorgeschrieben, vor denen Abstandsflächen größerer oder geringerer Tiefe als nach den Sätzen 1 bis 3 liegen müssten, finden die Sätze 1 bis 3 keine Anwendung, es sei denn, die Satzung ordnet die Geltung dieser Regelungen an.

(6) Bei der Bemessung der Abstandsflächen bleiben außer Betracht

1. vor die Außenwand vortretende Bauteile wie Gesimse und Dachüberstände,

2. Vorbauten, wenn sie

a) insgesamt nicht mehr als ein Drittel der Breite der jeweiligen Außenwand in Anspruch nehmen,

b) nicht mehr als 1,50 m vor diese Außenwand vortreten und

c) mindestens 2 m von der gegenüberliegenden Nachbargrenze entfernt bleiben,

3. bei Gebäuden an der Grundstücksgrenze die Seitenwände von Vorbauten und Dachaufbauten, auch wenn sie nicht an der Grundstücksgrenze errichtet werden.

(7) Bei der Bemessung der Abstandsflächen bleiben Maßnahmen zum Zweck der Energieeinsparung und Solaranlagen an bestehenden Gebäuden unabhängig davon, ob diese den Anforderungen der Absätze 2 bis 6 entsprechen, außer Betracht, wenn sie

1. eine Stärke von nicht mehr als 0,25 m aufweisen und

2. mindestens 2,50 m von der Nachbargrenze zurückbleiben.

§ 66 Abs. 1 Satz 1 bleibt unberührt.

(8) In den Abstandsflächen eines Gebäudes sowie ohne eigene Abstandsflächen sind, auch wenn sie nicht an die Grundstücksgrenze oder an das Gebäude angebaut werden, zulässig:

1. Garagen und Gebäude ohne Aufenthaltsräume und Feuerstätten mit einer mittleren Wandhöhe bis zu 3 m und einer Gesamtlänge je Grundstücksgrenze bis zu 9 m; abweichend von Absatz 4 Satz 3 bleibt die Höhe von Dächern mit einer Neigung von bis zu 45 Grad unberücksichtigt,

2. gebäudeunabhängige Solaranlagen mit einer Höhe bis zu 3 m und einer Gesamtlänge je Grundstücksgrenze von 9 m und

3. Stützmauern und geschlossene Einfriedungen in Gewerbe- und Industriegebieten, außerhalb dieser Baugebiete mit einer Höhe bis zu 2 m.

Die Länge der die Abstandsflächentiefe gegenüber den Grundstücksgrenzen nicht einhaltenden Bebauung nach Satz 1 Nr. 1 und 2 darf auf einem Grundstück insgesamt 18 m nicht überschreiten.











Kommentierung






A. Normgeschichte







1. Historie







2. Gesetzesbegründung


§ 6 regelt abschließend das Abstandsflächenrecht und enthält ferner allgemeine Bestimmungen, die zugleich für Abstandsflächen und andere (beispielsweise Brandschutz-) Abstände gelten. Das hebt die Überschrift "Abstandsflächen, Abstände" hervor.

Absatz 1 enthält den Grundsatz, dass vor den Außenwänden von Gebäuden Abstandsflächen freizuhalten sind. Zugleich nimmt die Bestimmung in Satz 2 eine Regelung für Anlagen mit gebäudegleicher Wirkung auf.

Satz 3 regelt den Vorrang des bundesrechtlichen Bauplanungsrechts gegenüber dem Bauordnungsrecht (vgl. dazu grundsätzlich Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts vom 11. März 1994, Az. 4 B 53/94, NVwZ 1994, 1008). Planungsrechtliche Vorschriften, nach denen im Sinne der Nummer 1 an die Grenze gebaut werden muss, werden in der Regel Vorschriften über die Bauweise sein (§ 22 der Baunutzungsverordnung - BauNVO - in der Fassung vom 23. Januar 1990 – BGBl. I S. 133 in der jeweils geltenden Fassung), können sich im Einzelfall aber auch aus Regelungen über die überbaubare Grundstücksfläche, nämlich durch die Festsetzung von Baulinien (§ 23 Abs. 2 Satz 1 BauNVO) ergeben. Dass an die Grenze gebaut werden darf, kann sich auch aus der Festsetzung von Baugrenzen (§ 23 Abs. 3 Satz 1 BauNVO) und Bebauungstiefen (§ 23 Abs. 4 Satz 1 BauNVO) ergeben. Entsprechendes gilt bei der Anwendung des § 33 des Baugesetzbuchs - BauGB für die künftigen Festsetzungen des Bebauungsplans und aufgrund des Einfügungsgebots des § 34 Abs. 1 Satz 1 BauGB. Im Sinne der Bestimmung "darf" auch dann an die Grenze gebaut werden, wenn dies durch eine Befreiung (§ 31 Abs. 2 BauGB) zugelassen worden ist.

Darf an die Grenze gebaut werden, steht dem Bauherrn bauplanungsrechtlich - grundsätzlich - die Wahl frei, ob er von dieser Möglichkeit Gebrauch macht oder nicht, sich etwa für eine (an die Grenze zu bauende) Doppelhaushälfte oder für ein freistehendes Gebäude entscheidet. Soweit im unbeplanten Innenbereich ein Baugebiet teils offene, teils geschlossene Bauweise aufweist, sind beide Bauweisen zulässig. Dieses planungsrechtliche Wahlrecht des Bauherrn findet in Satz 3 Nr. 1 ein bauordnungsrechtliches Pendant, indem der Bauherr - erforderlichenfalls - von der Einhaltung einer Abstandsfläche freigestellt wird.

Nummer 2 trägt dem Umstand Rechnung, dass es innerhalb im Zusammenhang bebauter Ortsteile im Sinne des § 34 Abs. 1 Satz 1 BauGB sachgerecht ist, wenn sich der Bauherr nicht an den Abstandsflächentiefen nach Absatz 5, sondern an denjenigen Abständen orientieren muss, die in der das Baugrundstück bauplanungsrechtlich prägenden Nachbarschaft bestehen. Bei der Beurteilung kommt es nicht darauf an, welches andere Maß als 0,4 H beziehungsweise 0,2 H in der Umgebung vorhanden ist, sondern ob sich das Bauvorhaben im Sinne des § 34 Abs. 1 BauGB insbesondere nach der Grundstücksfläche, die überbaut werden soll, in die Eigenart der näheren Umgebung einfügt. Unzuträgliche Verhältnisse können schon deshalb nicht entstehen, weil § 34 Abs. 1 Satz 2 Halbsatz 1 BauGB die Zulässigkeit auch von Bauvorhaben, die sich im Sinn des § 34 Abs. 1 Satz 1 BauGB in die Eigenart der näheren Umgebung einfügen, dann ausschließt, wenn die Anforderungen an gesunde Wohn- und Arbeitsverhältnisse nicht gewahrt bleiben und somit ein Minimalstandard an Belichtung, Belüftung, Besonnung und Sozialabstand gewahrt ist. Durch die Zurückführung des Nachbarschutzes auf unzumutbare Beeinträchtigungen im Sinne einer nachbarschützend qualifizierten Verletzung des bauplanungsrechtlichen Gebots der Rücksichtnahme wird nicht nur eine erhebliche Flexibilisierung des Abstandsflächenrechts, sondern auch eine Harmonisierung bauordnungsrechtlicher und bauplanungsrechtlicher Anforderungen erreicht. Der Mindestabstand von 2,50 m bleibt im Hinblick auf das Brandwanderfordernis unberührt.

Auch für Ersatzbauten kann Satz 3 eine Rolle spielen: Beseitigte Gebäude prägen nach der Rechtsprechung die Eigenart der näheren Umgebung weiterhin bauplanungsrechtlich, solange nach der Verkehrsanschauung das Baugrundstück für eine Neubebauung im Umfang des beseitigten Altbestands aufnahmefähig ist (vgl. für den nicht beplanten Innenbereich rechtsgrundsätzlich Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts vom 24. Mai 1988, Az. 4 CB 12/88). Dies hat zur Folge, dass ein Ersatzbau auch dann bauplanungsrechtlich zulässig bleibt, wenn er nach der Beseitigung des Altbestands und unter Absehen von diesem bauplanungsrechtlich nicht mehr zulässig wäre, etwa in einer Ortsrandlage im grundsätzlich unbebaubaren Außenbereich läge. Da die neue Regelung sich ausdrücklich auf die umgebende Bebauung im Sinne des § 34 Abs. 1 Satz 1 BauGB bezieht, nimmt sie auch diese fortdauernde prägende Wirkung des beseitigten Bestands auf und bewirkt damit auch insoweit die notwendige Harmonisierung der bauplanungs- und der bauordnungsrechtlichen Maßstäbe.

Absatz 2 Satz 1 behält den - an sich bauordnungsrechtlich irrelevanten, aber für das Nachbarschaftsverhältnis bedeutsamen - Grundsatz bei, dass die Abstandsflächen auf dem Grundstück selbst liegen müssen und erstreckt diese Regelung zugleich auf die (Brandschutz-) Abstände nach § 30 Abs. 2 Nr. 1 und § 32 Abs. 2. Nach Satz 2 dürfen Abstandsflächen bis zur Mitte angrenzender öffentlicher Verkehrs-, Grün und Wasserflächen liegen. Soweit sich ein Gebäude aus bauplanungsrechtlichen Gründen nur einfügt, wenn die theoretisch ermittelten Abstandsflächen über die Mitte der öffentlichen Flächen hinausreichen, kann dem durch die Zulassung einer Abweichung Rechnung getragen werden. Satz 3 bezieht die Abstände im Sinne des Satzes 1 ein; da unter den in der Regelung genannten Voraussetzungen keine öffentlich-rechtlichen Belange erkennbar sind, die einer Erstreckung der Abstandsflächen und Abstände auf das Nachbargrundstück entgegenstehen könnten, ist sie als unmittelbar gesetzesabhängige Zulässigkeitsregelung ausgestaltet.

Absatz 3 bestimmt, dass sich Abstandsflächen grundsätzlich nicht überdecken dürfen, da nur so den Zielen des Abstandsflächenrechts - - Gewährleistung einer ausreichenden Licht- und Luftzufuhr - Rechnung getragen werden kann. Von dem Überdeckungsverbot werden Fallgestaltungen ausgenommen, bei denen trotz Überdeckung eine ausreichende Belichtung und Luftzufuhr erfolgt (Nummer 1), letztlich nur eine hinzunehmende "Selbstschädigung" erfolgt (Nummer 2) oder Gebäude und Anlagen betroffen sind, die nicht schutzbedürftig sind (Nummer 3).

Nach Absatz 4 bemisst sich die Abstandsfläche nach der senkrecht zur Wand zu messenden Wandhöhe. Satz 2 enthält die Legaldefinition der abstandsflächenrechtlich relevanten Wandhöhe. Unterer Bezugspunkt ist die Geländeoberfläche. Von dem Versuch, eine generelle Definition des Begriffs der Geländeoberfläche in § 2 aufzunehmen, wird weiter Abstand genommen, da der Begriff der Geländeoberfläche in der Thüringer Bauordnung in verschiedenen Funktionen verwendet wird, die ihn unterschiedlich konkretisieren.

Wand- und Giebelflächen gehen in ihren tatsächlichen Abmessungen in die Abstandsflächenberechnung ein. So ergeben die Durchdringungspunkte der Wand- und Giebelflächen mit dem Dach - - um den Faktor 0,4 (vgl. Absatz 5 Satz 1) verkürzt - in der Grundrissprojektion ein verzerrtes Abbild der Giebelwand. Bei dieser Lösung ist besonders vorteilhaft, dass jede Giebelsituation leicht und nach ein und derselben Regel bemessen werden kann. Giebelflächen werden wie Wände mit ansteigendem oberem Wandabschluss (Pultgiebel, schräge Attika) behandelt.

Satz 3 enthält eine Anrechnungsregelung für die Höhe von Dächern. Dabei war zu berücksichtigen, dass, ebenso wie bei der Anrechnung von Dachgauben und Dachaufbauten (siehe auch die Verweisung in Satz 5), jede Bemessung nur mit einem Anteil von 0,4 in die Abstandsflächentiefe eingeht. Differenzierungen ergeben in der Regel nur Unterschiede im Zentimeterbereich. Dachgauben und Dachaufbauten bleiben in der Regel mit ihren Abstandsflächen hinter der ermittelten Wandhöhe (Wand + 1/3 Dach) zurück. Die Schwelle von 70 Grad Dachneigung für die volle Anrechnung der Dachhöhe auf die Abstandsfläche in Satz 4 ist aus der Tiefe der Abstandsfläche abgeleitet; denn in einer Schnittdarstellung bildet die Verbindungslinie zwischen einem ermittelten Abstandsflächenpunkt auf horizontaler Bezugsebene und der Wandhöhe einen Winkel von 69 Grad.

Absatz 5 behandelt die Tiefe der Abstandsfläche. Die Abstandsflächentiefe von 0,4 H, unter Beachtung der Mindestabstandsflächentiefe von 3 m, zielt ausschließlich auf einen bauordnungsrechtlich zu sichernden Mindeststandard und verfolgt keine städtebaulichen Nebenzwecke; angehobene Qualitätsanforderungen festzuschreiben, ist nicht Aufgabe des an der Gewährleistung eines sicherheitsrechtlichen Minimums ausgerichteten Bauordnungsrechts. Eine Unterschreitung der Mindestabstandsfläche kann im Einzelfall, insbesondere im unbeplanten Innenbereich im Sinne des § 34 BauGB, zulässig sein, wenn sich die geplanten Gebäude in die Eigenart der näheren Umgebung einfügen, da das Abstandsflächenrecht ähnliche Ziele verfolgt wie die bauplanungsrechtliche Bestimmung des § 34 Abs. 1 BauGB, nach der die Anforderungen an gesunde Wohn- und Arbeitsverhältnisse gewahrt bleiben müssen.

Ziel der Regelung der Abstandsflächentiefe ist die Ausleuchtung der Aufenthaltsräume mit Tageslicht im fensternahen Bereich (bis etwa 2,5 m Tiefe), die Lesen und Schreiben bei bedecktem Himmel gestattet.

Allerdings muss hervorgehoben werden, dass Gebäudeabstände nur bedingt geeignet sind, die Aufenthaltsraumbeleuchtung mit Tageslicht zu steuern. Viele Einflüsse können auf die Helligkeit und somit die subjektiv empfundene Behaglichkeit einwirken. Dazu gehören vom Nutzer beeinflussbare Faktoren, wie die Verwendung lichtreflektierender oder lichtabsorbierender Mobiliar-, Wand- und Fußbodenoberflächen oder auch das Anbringen von Vorhängen und Gardinen. Nicht vom Nutzer beeinflussbar, jedoch von der Beleuchtungsauswirkung her erheblich, ist der Einfluss der Vegetation, die auf die bauordnungsrechtliche Beurteilung der Abstandsflächen keinen Einfluss hat.

Der festgelegte Mindeststandard lässt sich auch mit der DIN 5034 - Tageslicht in Innenräumen - in Einklang bringen. Durch die Festlegung der Regelabstandsflächentiefe auf 0,4 H ergibt sich zwischen Gebäuden ein Gesamtabstand, der der Summe der beiderseitigen Tiefen der Abstandsflächen entspricht, das heißt er beträgt regelmäßig 0,8 H. Dieser Gesamtabstand entspricht gemäß DIN 5034-4 einem Verbauungswinkel von etwa 50 Grad, der eine lichte Raumhöhe von mindestens 2,40 m und eine dazugehörige Fensterhöhe von 1,35 m voraussetzt. Diesen tabellarisch erfassten Werten sind Fensterbreiten zugeordnet, deren Realisierung ausreichende Helligkeit (Tageslichtquotient, DIN 5034-4, 2.1) und eine Sichtverbindung nach außen (DIN 5034-4, 2.2) sicherstellt. Aus den Werten der DIN 5034 ergibt sich für einen 5 m x 4,5 m = 22,5 m² großen Raum eine Fensterfläche von 1,35 m x 4,31 m = 5,81 m² (rd. ¼ der Raumfläche). Demgegenüber legt die Thüringer Bauordnung in § 47 Abs. 2 Satz 2 als Mindestfenstergröße 1/8 der ihr zugeordneten Aufenthaltsraumgrundfläche fest. Da sich der Tageslichtquotient aus dem Himmelslichtanteil, dem Außenreflexionsanteil (Reflexion an Verbauung) und dem Innenreflexionsanteil (Reflexion an den Rauminnenflächen) zusammensetzt und Minderungsfaktoren wie die Fensterverschmutzung berücksichtigt, kann bezüglich der tabellarischen Werte von Qualitätsstandards ausgegangen werden, die von bauordnungsrechtlichen Mindeststandards zu unterscheiden sind. Dies bedeutet, dass die der Tabelle zu entnehmenden Fensterbreiten aus bauordnungsrechtlicher Sicht unterschritten werden dürfen.

Städtebauliche Aspekte können über die bauordnungsrechtlichen Abstandsflächenanforderungen hinausgehende Gebäudeabstände erfordern. Die Festlegung auf ein bauordnungsrechtliches Maß von 0,4 H lässt planungsrechtlichen Regelungen einen großen Raum zur Orientierung unterschiedlicher Bebauungsformen. Wie bisher kann die Gemeinde durch Festsetzung im Bebauungsplan oder einer sonstigen städtebaulichen Satzung geringere Gebäudeabstände zulassen, als sie nach den bauordnungsrechtlichen Abstandsbestimmungen erforderlich sind. Auch wenn § 6 an sich ein ausreichendes Mindestniveau gewährleisten will, kann gleichwohl die bauplanungsrechtliche Zulassung eines geringeren Gebäudeabstands Ergebnis einer sachgerechten Abwägung sein, da geringere Abstände städtebaulich gewollt sein können und gegebenenfalls durch andere Maßnahmen ausgeglichen werden können. Eine Gemeinde wird sich aber regelmäßig bewusst machen müssen, dass sie geringere Abstände zulässt und sich mit der Frage auseinandersetzen müssen, ob die allgemeinen Anforderungen an gesunde Wohn- und Arbeitsverhältnisse im Sinne des § 1 Abs. 6 Nr. 1 BauGB angemessen berücksichtigt sind.

In Gewerbe-, Industrie- und vergleichbaren Sondergebieten ist nach Satz 2 nur die Hälfte der regelmäßigen Mindestabstandsflächentiefe erforderlich. Dies trägt der Tatsache Rechnung, dass in diesen Gebieten die Arbeitsräume häufig eine Tiefe aufweisen, die eine natürliche Belichtung ohnehin nicht zulassen und es damit ausreichend ist, dass in den Gebäuden Fenster eingebaut werden können, die eine Sichtverbindung nach draußen ermöglichen. Ein Sondergebiet ist einem Gewerbe- oder Industriegebiet vergleichbar, wenn die Schutzziele des Abstandsflächenrechts in gleicher Weise eine geringere Bedeutung haben. Das ist beispielsweise bei Sondergebieten für großflächigen Einzelhandel der Fall.

Satz 3 enthält eine begünstigende Sonderregelung für Wohngebäude der Gebäudeklassen 1 und 2, die dem Umstand Rechnung trägt, dass andernfalls aufgrund der Anrechnung von Giebelflächen auf die Abstandsflächentiefe die Mindestabstandfläche von 3 m regelmäßig überschritten würde. Da Wohngebäude der Gebäudeklassen 1 und 2 regelmäßig nur eine geringe Tiefe aufweisen und dadurch ein ausreichender seitlicher Lichteinfall auf Nachbargrundstücke möglich ist, ist diese Begünstigung gerechtfertigt.

Satz 4 bewirkt, dass auch städtebauliche Satzungen oder örtliche Bauvorschriften nach § 88 hinsichtlich der Bemessung der Abstandsflächentiefe gegenüber den Sätzen 1 bis 3 Vorrang haben und stellt somit eine weitere Maßnahme zur Harmonisierung bauplanungs- und bauordnungsrechtlicher Anforderungen dar.

Absatz 6 regelt im Interesse einer besseren Gestaltung von Gebäuden die Zulässigkeit untergeordneter Bauteile und Vorbauten in den Abstandsflächen.

Nummer 1 lässt, unter anderem, generell Dachüberstände in den Abstandsflächen zu.

In Nummer 2 Buchst. a wird, um die rechtssichere Anwendbarkeit der Regelung zu unterstützen, die abstandsflächenrechtlich neutrale zulässige Breite der an einer Außenwand vorgesehenen Vorbauten auf insgesamt ein Drittel der Außenwandbreite festgelegt. Buchstabe b begrenzt die Tiefe der Vorbauten, da Vorbauten, wie Erker und Balkone, zwar auch die Nutzbarkeit des Gebäudes erhöhen, vorrangig aber der aufgelockerten Gestaltung dienen sollen. In Buchstabe c wird auf die dem jeweiligen Vorbau gegenüberliegenden Nachbargrenzen abgestellt, da die seitlichen Nachbargrenzen sowie die Grundstücksgrenze zur Straße hin mit Blick auf die abstandsflächenrechtlichen Schutzziele insoweit vernachlässigbar sind.

Nummer 3 stellt klar, dass bei Gebäuden, die an der Grenze errichtet werden dürfen oder müssen, Vorbauten und Dachaufbauten einen Grenzabstand einhalten dürfen, ohne dass insoweit (Mindest-)Abstandsflächen eingehalten werden müssen.

Absatz 7 enthält aufgrund der zunehmenden Bedeutung der Nutzung erneuerbarer Energien und des Erfordernisses der Energieeinsparung auch im Hinblick auf die Regelungen der Energieeinsparverordnung vom 24. Juli 2007 (BGBl. I S. 1519) in der jeweils geltenden Fassung eine abstandsflächenrechtliche Privilegierung von Maßnahmen der Wärmedämmung und von Solaranlagen an bestehenden Gebäuden.

Hinsichtlich der Solaranlagen erfolgt die Formulierung in Parallelität zur Bestimmung der Verfahrensfreiheit nach § 60 Abs. 1 Nr. 3 Buchst. a. Daher umfasst die Formulierung "Solaranlagen an Gebäuden" auch Solaranlagen an Dachflächen. Nicht erfasst sind jedoch die in § 60 unter die Formulierung "auf Dachflächen" fallenden aufgeständerten Solaranlagen.
Die abstandsflächenrechtliche Begünstigung korrespondiert mit der in § 248 BauGB enthaltenen Regelung zur zulässigen Überschreitung von Festsetzungen zum Maß der baulichen Nutzung, zur Bauweise und zur überbaubaren Grundstücksfläche durch Maßnahmen zum Zweck der Energieeinsparung und zur Nutzung von Solarenergie an bestehenden Gebäuden.

Die Voraussetzungen, an welche die abstandsflächenrechtliche Privilegierung gebunden ist, tragen mit dem Mindestabstand von 2,50 m den Interessen des Nachbarn ausreichend Rechnung und ermöglichen mit einer Stärke von 0,25 m nach bisherigen Erkenntnissen ein optimales Dämmergebnis, da üblicherweise bei Sanierungen Dämmungen zwischen 10 und 15 cm aufgetragen werden und zur Erreichung eines Passivhausstandards in der Regel bereits 20 cm ausreichen.

Satz 2 stellt klar, dass auch bei geringerem Abstand als 2,50 m zur Nachbargrenze im Einzelfall die Erteilung einer Abweichung nach § 66 Abs. 1 Satz 1 möglich bleibt.

Absatz 8 befasst sich mit der Zulässigkeit untergeordneter baulicher Anlagen in den Abstandsflächen und ohne eigene Abstandsflächen. Sie lässt nach Satz 1 solche untergeordneten baulichen Anlagen nicht nur alternativ an der Grenze beziehungsweise als Anbau an ein anderes Gebäude oder unter Einhaltung einer Abstandsfläche zu, sondern auch (nur) grenz- und gebäudenah. Dabei wird nicht auf die Nachbar-, sondern auf die Grundstücksgrenze abgestellt, da - - jedenfalls abstandsflächenrechtlich unter Vorbehalt etwaiger entgegenstehender planungsrechtlicher Vorschriften oder Regelungen der Thüringer Garagenverordnung - einer Grenzbebauung auch an der vorderen Grundstücksgrenze nichts entgegensteht.

Satz 1 Nr. 1 begünstigt abstandsflächenrechtlich Garagen und Gebäude in den dort genannten Abmessungen. Die Privilegierung erstreckt sich auf Garagen und Gebäude unabhängig davon, ob diese räumlich-funktional einem Hauptgebäude zu- oder untergeordnet sind, da dies abstandsflächenrechtlich unerheblich ist. Die mittlere Wandhöhe von 3 m und die zulässige Gesamtlänge von 9 m werden belassen. Abweichend von Absatz 4 Satz 3 wird bei der Ermittlung der Wandhöhe traufständiger Gebäude die Dachhöhe nicht angerechnet, wenn das Dach eine Neigung von nicht mehr als 45 Grad aufweist. Dadurch ist die aus gestalterischen Gründen vielfach gewünschte Errichtung von Satteldächern auf Grenzgaragen möglich, die bei Anrechnung der Dachhöhe jedenfalls bei Doppelgaragen regelmäßig nicht möglich wäre.

Satz 1 Nr. 2 enthält eine in den Abmessungen nach Nummer 1 entsprechende Begünstigung für gebäudeunabhängige Solaranlagen, um abstandsflächenrechtliche Hindernisse für die Nutzung regenerativer Energien zu vermeiden.

Satz 1 Nr. 3 stellt ohne Höhenbegrenzung Stützmauern und geschlossene Einfriedungen in Gewerbe- und Industriegebieten abstandsflächenfrei, da in diesen Gebieten die Schutzgüter des Abstandsflächenrechts durch solche Anlagen regelmäßig nicht berührt werden und gegebenenfalls im Wege der Bauleitplanung oder durch örtliche Bauvorschriften Regelungen getroffen werden können. Außerhalb dieser Baugebiete beträgt die abstandsflächenfreie Höhe 2 m. Von dieser abstandsflächenrechtlichen Begünstigung unberührt bleibt die sich aus Bestimmungen des Bauplanungsrechts oder einer örtlichen Bauvorschrift vielfach ergebende Höhenbegrenzung.

Satz 2 beschränkt die Gesamtlänge der Bebauung nach Satz 1 Nr. 1 und 2 je Grundstück auf 18 m, um auch bauordnungsrechtlich relevanten "Einmauerungseffekten" vorzubeugen. Gegenüber der bisher geltenden Regelung erfolgt eine Anhebung der zulässigen Länge um 3 m, um an zwei Grundstücksgrenzen die nach Satz 1 Nr. 1 und 2 zulässige Grenzbebauung zu ermöglichen. Wird ein Gebäude an zwei Grundstücksgrenzen angebaut, gehen beide Grenz- beziehungsweise grenznahen Wände in die Berechnung der Gesamtlänge ein.


3. Verwaltungsvorschrift







B. Normauslegung


















Zitiervorschlag:
Müller-Grune Sven, Kommentar zur Thüringer Bauordnung, Schmalkalden 2017, § 6.





© Prof. Dr. Sven Müller-Grune





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