Thüringer Bauordnung [ThürBO]
Kommentar Prof. Dr. Sven Müller-Grune
§ 51 Sonderbauten |
An Sonderbauten können im Einzelfall zur Verwirklichung der allgemeinen Anforderungen nach § 3 Satz 1 besondere Anforderungen gestellt werden. Erleichterungen können gestattet werden, soweit es der Einhaltung von Bestimmungen wegen der besonderen Art oder Nutzung baulicher Anlagen oder Räume oder wegen besonderer Anforderungen nicht bedarf. Die Anforderungen und Erleichterungen nach den Sätzen 1 und 2 können sich insbesondere erstrecken auf:
1.
die Anordnung der baulichen Anlagen auf dem Grundstück,
2.
die Abstände von Nachbargrenzen, von anderen baulichen Anlagen auf dem Grundstück und von öffentlichen Verkehrsflächen sowie auf die Größe der freizuhaltenden Flächen der Grundstücke,
3.
die Öffnungen nach öffentlichen Verkehrsflächen und nach angrenzenden Grundstücken,
4.
die Anlage von Zu- und Abfahrten,
5.
die Anlage von Grünstreifen, Baumpflanzungen und anderen Pflanzungen sowie die Begrünung oder Beseitigung von Halden und Gruben,
6.
die Bauart und Anordnung aller für die Stand- und Verkehrssicherheit, den Brand-, Wärme-, Schall- oder Gesundheitsschutz wesentlichen Bauteile und die Verwendung von Baustoffen,
7.
Brandschutzanlagen, -einrichtungen und -vorkehrungen,
8.
die Löschwasserrückhaltung,
9.
die Anordnung und Herstellung von Aufzügen, Treppen, Treppenräumen, Fluren, Ausgängen und sonstigen Rettungswegen,
10.
die Beleuchtung und Energieversorgung,
11.
die Lüftung und Rauchableitung,
12.
die Feuerungsanlagen und Heizräume,
13.
die Wasserversorgung,
14.
die Aufbewahrung und Entsorgung von Abwasser und festen Abfallstoffen,
15.
die Stellplätze und Garagen,
16.
die barrierefreie Nutzbarkeit,
17.
die zulässige Zahl der Benutzer, Anordnung und Zahl der zulässigen Sitz- und Stehplätze bei Versammlungsstätten, Tribünen und Fliegenden Bauten,
18.
die Zahl der Toiletten für Besucher,
19.
Umfang, Inhalt und Zahl besonderer Bauvorlagen, insbesondere eines Brandschutzkonzepts,
20.
weitere zu erbringende Bescheinigungen,
21.
die Bestellung und Qualifikation des Bauleiters und der Fachbauleiter,
22.
den Betrieb und die Nutzung einschließlich der Bestellung und der Qualifikation eines Brandschutzbeauftragten,
23.
Erst- und Wiederholungsprüfungen und die Bescheinigungen, die hierüber zu erbringen sind.
Quelle
Kommentierung |
A. Normgeschichte
1. Historie/Gesetzesbegründung
2014 (G.v.25.03.2014 - GVBL. 2014, 49)
Die in § 2 Abs. 4 aufgeführten Sonderbauten sind dadurch gekennzeichnet, dass bei ihnen entweder eine besondere Gefährdungssituation vorliegt oder es erforderlich ist, auch von sicherheitsrelevanten Bestimmungen der Thüringer Bauordnung abzuweichen und dies gegebenenfalls durch andere Maßnahmen zu kompensieren. Diese Abweichungen "nach oben und unten" sind grundsätzlich für das jeweils zur Genehmigung beantragte Bauvorhaben festzulegen.Da bei Sonderbauten zur Gewährleistung des bauaufsichtlich erforderlichen Sicherheitsniveaus regelmäßig eine Gesamtbetrachtung ohne strikte Bindung an für "Regelbauten" geltende Einzelanforderungen erforderlich ist, wäre es ein unnötiger Aufwand, für jede abweichende Lösung eine Abweichung nach § 66 zu beantragen, zu begründen und gesondert zu genehmigen. Satz 2 verwendet zur Abgrenzung daher den Begriff der Erleichterung, über die nicht gesondert entschieden werden muss.
Satz 3 enthält einen nicht abschließenden Katalog möglicher Gegenstände besonderer Anforderungen und Erleichterungen. Dieser Katalog stellt gewissermaßen eine "Checkliste" dar, auch wenn er regelungstechnisch (weil er alle erdenklichen bauordnungsrechtlichen Anforderungen abdeckt) nicht zwingend erforderlich wäre.
Thüringer Landtag Drucksache 5/5768
2018 (29.06.2018 - GVBl. 2018, 297)
Es handelt sich um eine redaktionelle Änderung.Thüringer Landtag Drucksache 6/3277
2. Verwaltungsvorschrift
51.1 Die Begriffsdefinition für Sonderbauten erfolgt in § 2 Abs. 4.
51.1.1 Soweit in Sonderbauverordnungen aufgrund des § 87 Abs. 1 Nr. 4 keine Einzelfallermächtigungen zu weitergehenden materiellen Anforderungen enthalten sind, können Anforderungen, die über die Sonderbauverordnungen hinausgehen, nur bei atypischen Fällen gestellt werden, um einer im Einzelfall bestehenden Gefahr zu begegnen.
Bei Sonderbauten i.S.d. § 2 Abs. 4, die die Schwelle zur Anwendung der jeweiligen Sonderbauverordnung nicht erreichen, können Sonderbauverordnungen für die nach § 51 zu treffen-den Entscheidungen als Anhaltspunkt herangezogen werden. Es ist jedoch zu berücksichtigen, dass diese Gebäude eben nicht der Sonderbauverordnung unterliegen. Erhöhte Anforderungen nach den Sonderbauten stellen daher regelmäßig die Obergrenze dar.
51.1.2 Erleichterungen von Anforderungen der Sonderbauverordnungen, ausgenommen solcher, die im Rahmen bautechnischer Nachweise geprüft werden (siehe Nr. 66.1.2), können nur durch eine Abweichung nach § 66 zugelassen werden. Erleichterungen von der ThürBO, die sich aus den Möglichkeiten des § 51 ergeben, müssen dagegen nicht gesondert ausgesprochen werden.
51.1.3 Gibt es keine Sonderbauverordnungen, können noch nicht umgesetzte Muster-Verordnungen oder Sonderbaurichtlinien der Bauministerkonferenz (ARGEBAU) zur Orientierung herange-zogen werden. Da diese Materialien keine Rechtssatzqualität haben, ist bei ihrer Anwendung auf folgendes zu achten:
- Die Baugenehmigung ist nach § 71 Abs. 1 zu erteilen, wenn der jeweilige Sonderbau den materiellen Anforderungen der ThürBO oder aufgrund der ThürBO entspricht. Werden Muster-Verordnungen oder Richtlinien der ARGEBAU herangezogen, müssen die darin enthaltenen Betriebs- und Prüfvorschriften nach Satz 1 als Auflage in der Baugenehmigung angeordnet werden, um für den Bauherrn verbindlich zu sein. Sofern ein Verstoß gegen Betriebs- oder Prüfvorschriften als Ordnungswidrigkeit bezeichnet ist, müssen auch die Anordnungen (Auflagen) in der Baugenehmigung mit dem Hinweis auf § 86 Abs. 1 Nr. 2 versehen werden, dass ein Verstoß gegen die Anordnung eine Ordnungswidrigkeit darstellt, die mit einem Bußgeld geahndet werden kann.
- Vorschriften wegen der besonderen Art oder Nutzung baulicher An-lagen oder Räume oder wegen besonderer Anforderungen nicht bedarf. Dadurch soll die Brandschutzplanung leichter nachvollziehbar und damit auch die Prüfung beschleunigt werden. Da bei nicht umgesetzten Muster-Sonderbauverordnungen die Prüfung der all-gemeinen Angemessenheit abweichender Lösungen bereits im Rahmen der Ausarbeitung durch die Gremien der Bauministerkonferenz erfolgt ist, ist eine erneute Auflistung und Begründung der von der ThürBO abweichenden Lösungen der Muster-Sonderbauverordnung entbehrlich. Im Brandschutzkonzept sollte aber dargestellt werden, welche Muster-Sonderbauverordnung (einschließlich Stand des Musters) Grundlage der Planung ist. Die Auflistung und Begründung der vorgesehenen Erleichterungen kann sich dann auf die von der Muster-Sonderbauverordnung abweichenden Lösungen beschränken.
- Von den Muster-Sonderbauverordnungen abweichende Lösungen können ebenso wie von der Bauordnung abweichende Lösungen als Erleichterungen zugelassen werden. Sie stellen keine Abweichungen i.S.d. § 66 dar.
51.1.4 Nr.18: Die Zahl der Toiletten kann sich aus den Sonderbauverordnungen ergeben. Sie kann im Einzelfall abweichend festgelegt werden. Enthält eine Sonderbauverordnung keine Regelung, kann eine bestimmte Zahl von Toiletten nur verlangt wer-den, wenn sie für die Nutzung des Gebäudes erforderlich ist. Ein Bauherr ist nicht verpflichtet, für die Öffentlichkeit nutzbare Toiletten herzustellen.
Nr. 19: Umfang und Inhalt des Brandschutznachweises bzw. Brandschutzkonzepts werden in der Thüringer Bauvorlagenverordnung geregelt
Nr. 21: Die Anforderungen an die Qualifikation des Bauleiters können sich im Einzelfall auch aus der besonderen Bedeutung der Funktion sicherheitsrelevanter Anlagen im Rahmen der Bauausführung ergeben.
VollzBekThürBO
B. Normauslegung
Zitiervorschlag:
Müller-Grune Sven, Kommentar zur Thüringer Bauordnung, Schmalkalden 2017, § 51.
© Prof. Dr. Sven Müller-Grune |
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