Probeklausur WIPR I
Missglückte Bestellung von Hebebühnen durch vertauschte Angebote
Sachverhalt
Auf Anfrage des Werkstattinhabers W sendet der Hersteller von Hebebühnen H am 5. 7. drei Vorschläge für eine für die Werkstatt des W geeignete Hebeanlage für PKWs. Die Varianten 1 bis 3 würden 3.500,- EUR (1), 4.500,- EUR (2) oder 5.500,- EUR (3) kosten und hätten unterschiedliche Ausstattung. H vermerkt auf den Vorschlägen, dass sie nur bis 20. 7. gültig sind.
W bittet seinen 19-jährigen Azubi A, die von W unterzeichnete Bestellung zu Variante 1 dem H bis spätestens 19. 7. persönlich vorbeizubringen. W gibt A alle Unterlagen mit. A erinnert sich daran erst am 20. 7. Um 16.00 Uhr und rennt sofort zu H. Dort trifft er um 17.00 Uhr nur noch eine Reinigungskraft R, die auf selbständiger Basis die Büros des H aufräumt. Sie wundert sich, was A von ihr will, aber nimmt die Papiere entgegen und verspricht, sie dem H unverzüglich zu geben. Dabei vertauscht A allerdings die Angebote so, dass die Seite mit Unterschrift des W zusammen mit Variante 3 (Preis 5.500,- EUR) abgegeben wird.
R gibt die von A überreichten Papiere dem H am 22. 7. H liefert die Hebebühne für 5.500,- EUR am 30. 7. Als W am 31. 7. die Rechnung sieht, verweigert er die Zahlung – er hätte die Variante für 3.500,- EUR bestellt.
Frage
Wie ist die Rechtslage?Vorgehensweise
Frage: Rechtslage?Die zu prüfenden, denkbaren Ansprüche sind sinnvoll auszuwählen und in sinnvoller Reihenfolge zu prüfen. Streitig ist, welcher Gegenstand bestellt wurde und auch welcher Preis zu zahlen ist. Da der Preis das Merkmal des Vertrages zu sein scheint, bei dem die Meinungen am deutlichsten auseinandergehen, ist wohl mit dem Anspruch auf Zahlung des Kaufpreises von 5.500,- zu starten (Interesse des Verkäufers) und danach die übrigen Ansprüche zu prüfen, die je nach Ausgang des ersten sinnvoll erscheinen.
Je nach Ergebnis kann anschließend auf den Anspruch auf Lieferung der vom Käufer gewünschten Hebebühne eingegangen werden und diese Prüfung mit Verweis nach oben etwas kürzer ausfallen. Sollte Anspruch auf Kaufpreis von 5.500,- EUR gegeben sein, dann ist die Hebebühne für 3.500,- nicht geschuldet (kurz prüfen und bei Einigung darauf eingehen). Der Anspruch auf Lieferung der für 5.500,- ist bereits erfüllt.
Besteht der Vertrag nicht, ist ein Anspruch auf 1) 985 BGB und 2) 812 zu prüfen.
Es scheint hier ein Problem
- bei Vertragsabschluss
- inkl. Beteiligung Dritter Personen bei Abgabe der WE
- bei Willensmängeln
Darauf ist auf jeden Fall Bezug zu nehmen.
Wichtig:
Wenn wir bei Prüfung des Primäranspruchs auf Vertragserfüllung irgendwo frühzeitig (Beispiel: bereits bei Vertragsschluss) feststellen, dass dieser Anspruch nicht entstanden ist, stellt sich die Frage, was wir mit restlichen Problemen tun sollten: zum Beispiel bleiben dann Themen einer möglichen Anfechtung unbehandelt.
Für diesen Fall besteht die Möglichkeit eines Hilfsgutachtens - dieses können Sie mit der Bemerkung anfertigen, dass der Anspruch nicht besteht, hilfsweise aber auch noch ein weiteres Problem - das der Anfechtung - geprüft wird. Sozusagen zweiter Boden als Argument für das Scheitern des Anspruchs, was Sie aber ohne Rücksicht auf die Prüfung vorher erläutern.
Musterlösung
A. Anspruch H gegen W aus § 433 Abs. 2 BGB
H könnte einen Anspruch auf Zahlung des Kaufpreises i. H. v. 5.500,- EUR gegen W gem. § 433 Abs. 2 BGB haben. Dies ist dann der Fall, wenn H den Anspruch erworben, nicht verloren hat und dieser durchsetzbar ist.
1. Anspruchserwerb
H könnte den Anspruch erworben haben. Dies ist der Fall, wenn H und W einen wirksamen Kaufvertrag i. S. d. § 433 BGB abgeschlossen haben. Dieser Vertrag muss auch einen Kaufpreis von geforderten 5.500,- EUR vorgesehen haben.
H könnte den Anspruch erworben haben. Dies ist der Fall, wenn H und W einen wirksamen Kaufvertrag i. S. d. § 433 BGB abgeschlossen haben. Dieser Vertrag muss auch einen Kaufpreis von geforderten 5.500,- EUR vorgesehen haben.
(1) Angebot seitens W
Die im Sachverhalt erwähnte Anfrage des W an H, die H mit 3 Vorschlägen beantwortet hat, enthält noch keine hinreichenden Inhalte eines eventuelles Angebotes. Die Anfrage ist demzufolge kein Angebot i. S. d. §§ 145 ff. BGB.
(2) Angebot seitens H
Ein Angebot könnte in Form der 3 vorgeschlagenen Varianten von Hebebühnen seitens H vorliegen. Dies setzt eine Willenserklärung mit dem Inhalt Antrag voraus, die abgegeben und zugegangen ist.
(a) Willenserklärung des H
Eine Willenserklärung seitens H könnte vorliegen. Eine Willenserklärung liegt vor, wenn H mit seinem Handeln den inneren und äußeren Tatbestand der Willenserklärung erfüllt hat. H hat dem W drei Vorschläge mit konkreten Hebebühnen jeweils mit einem Preis versehen unterbreitet. Dabei nennt er auch ein Datum, bis zu dem H diese Vorschläge für W umzusetzen bereit ist. Dies stellt eine - auch wenn mit drei Varianten versehene - Erklärung des Willens, dass jedenfalls eine von den Bühnen verkauft werden soll. Eine solche Handlung ist eine rechtsverbindliche Willenserklärung.
(b) Inhalt Antrag
Die 3 Varianten des H sollen die Möglichkeit schaffen, einen Kaufvertrag abzuschließen. Sie sind inhaltlich auch ein Angebot.
(c) Abgabe und Zugang
Die Erklärung müsste H auch abgegeben haben und sie müsste dem W auch zugehen. H sendet die 3 Varianten dem W zu. Im Sachverhalt ist davon die Rede, dass W darauf auch Bezug nimmt. Dies bedeutet also, dass H die Erklärung mit den 3 Varianten abgegeben hat und sie dem W auch zugegangen ist.
(d) Zwischenergebnis
Die 3 Varianten, die H dem W zugesendet hat, stellen ein Angebot zum Verkauf einer (von den drei) Hebebühne dar.
(3) Annahme durch W
W könnte das Angebot des H angenommen haben. Dies setzt eine Willenserklärung des W voraus, die inhaltlich eine Annahme darstellt, sie abgegeben wurde und dem Adressaten zugegangen ist.
(a) Willenserklärung mit dem Inhalt Annahme
W könnte durch Auswahl der Variante 1 eines der Angebote von H angenommen haben. Er unterzeichnet eine Bestellung zu Variante 1 und bringt damit zum Ausdruck, dass er die Hebebühne für 3.500,- EUR kaufen will. Damit liegt eine Annahmeerklärung vor.
(b) Abgabe
W könnte die Annahmeerklärung auch abgegeben haben. Dies ist durch W persönlich oder mithilfe eines Dritten möglich. Eine persönliche Abgabe der Erklärung durch W fand nicht statt.
W könnte die Erklärung mithilfe eines Boten (A) abgegeben haben. Dies setzt voraus, dass W A als Boten eingesetzt hat und dieser die Erklärung so auf den Weg gebracht hat, dass mit Zugang zu rechnen ist.
W hat A die unterzeichnete Bestellung gegeben und ihn darum gebeten, sie dem H bis zum 19. 7. zu übermitteln. Damit hat W A als Boten eingesetzt. A hat sich zu H zwar erst am 20. 7. begeben, die Erklärung dort aber abgeliefert. Problematisch ist, dass er sie nicht dem H persönlich, sondern der Reinigungskraft R gab. Diese verspricht dem A jedoch, die Erklärung weiterzugeben, so dass mit Zugang (jedenfalls irgendwann) zu rechnen ist.
(c) Zugang
Die Erklärung des W könnte H zugegangen sein. Dies ist in diesem Fall zum einen in der Form möglich, dass die Erklärung bei R als Empfangsbote zugegangen ist oder bei H persönlich.
Der Zugang über R als Empfangsbote ist erfolgt, wenn die R als Empfangsbote bestellt wurde, sie die Erklärung empfangen hat und mit ihrer Weiterleitung zu rechnen war. R ist eine Reinigungskraft, die auf selbständiger Basis die Büros von H aufräumt. Eine solche Person ist nicht für den Empfang von Willenserklärungen bestellt, somit ist sie kein Empfangsbote. Zugang über Boten ist ausgeschlossen.
Der persönliche Zugang bei H könnte aber dennoch vorliegen. Dies ist der Fall, wenn die Erklärung in den Herrschaftsbereich des H gelangt ist, so dass Kenntnisnahme möglich ist. R übergibt die Erklärung dem H am 22. 7. Damit ist die Erklärung direkt bei H angekommen und er hat sie auch tatsächlich wahrnehmen können. Zugang bei H ist am 22. 7. erfolgt.
(d) Zwischenergebnis
Die Erklärung des W wurde zwischenzeitig auch nicht widerrufen. W hat das Angebot des H gem. § 146 BGB angenommen.
(4) Verbindlichkeit des Antrags bei Annahme
Der Antrag des H könnte bei Annahme durch W bindend sein. Sollte er nicht gem. §§ 146 ff. BGB bindend sein, kommt nur noch eine erneute Annahme gem. § 150 Abs. 1 BGB in Betracht.
(a) Frist eingehalten
Die Bindung an den Antrag könnte während seiner Bindungsfrist gegeben sein. Dies ist entweder gem. § 148 oder gem. § 147 BGB möglich. Die Annahme durch W könnte innerhalb einer gem. § 148 BGB ausdrücklich gesetzten First erfolgt sein. Dies setzt voraus, dass hier für die Annahme eine Frist gesetzt und durch W auch eingehalten wurde. In diesem Fall hat H eine Frist gem. § 148 BGB gesetzt - die Annahme hätte nur bis 20. 7. erfolgen dürfen. Wie oben festgestellt wurde, erfolgte der Zugang jedoch nicht am 20. 7. durch Übergabe der Erklärung an R, sondern erst am 22. 7.
Somit ist die Annahme nicht fristgemäß erfolgt.
(b) Neues Angebot / neue Annahme, § 150 Abs. 1 BGB
Die verspätete Annahme könnte als neues Angebot i. S. d. § 150 Abs. 1 BGB gelten, so dass sie - sofern eine erneute Annahme erfolgte - zum Vertragsschluss führen würde.
H könnte das neue Angebot seinerseits angenommen haben. Dies setzt eine Willenserklärung voraus, die inhaltlich Annahme darstellt, sie abgegeben wurde und zugegangen ist. H hat zwar nicht mit W erneut kommuniziert, hat aber die Hebebühne für 5.500,- EUR geliefert. Dies deutet jedenfalls auf eine konkludente Willenserklärung mit dem Inhalt, er akzeptiert die Bestellung. Mit der Lieferung ist auch die konkludente Aussage verbunden, dass H sich an einen eventuellen Vertrag hält und dies kann wohl bei W ankommen. W empfängt die Hebebühne, was als Zugang der erneuten Annahme gewertet werden kann.
Mit der erneuten Annahme durch H kann ein Vertrag zustandekommen.
(c) Annahmefähigkeit des neuen Angebots
Überschreitung von Fristen bei erneuter Annahme oder sonstige Umstände, die gegen Bindung an das neue Angebot sprechen würden, sind nicht ersichtlich.
(d) Konsens
Die Erklärungen von W und H müssten auch übereinstimmen. Ein Konsens im Sinne eines Vertragsschlusses ist gegeben, wenn inhaltlich übereinstimmende und eindeutige Erklärungen vorliegen und diese auch die notwendigen Inhalte von Angebot und Annahme umfassen.
Die Erklärungen von W und H könnten inhaltlich übereinstimmen. Dies ist zum einen dann der Fall, wenn sie das gleiche wollen. Allerdings ist dies auch dann gegeben, wenn sie zumindest nach objektivem Empfängerhorizont, also aus Sicht des Außenstehenden das Gleiche geäußert haben.
W wollte eine Hebebühne für 3.500,- EUR, H liefert ihm aber eine für 5.500,- EUR. Damit wollten beide unterschiedliche Verträge. Die Erklärung des W ist bei H jedoch so angekommen, dass die Bestellung über 5.500,- ausgelöst werden sollte. Eine andere Interpretation war aus objektiver Sicht nicht möglich. Eine Übereinstimmung nach objektivem Erklärungsgehalt liegt vor.
Diese Erklärungen sind auch eindeutig. Sie erstrecken sich auch über die notwendigen Vertragsinhalte (insbesondere. Gegenstand und Preis).
(5) Zwischenergebnis
Ein Vertrag ist abgeschlossen.
2. Ergebnis
H hat gegen W keinen Anspruch auf Zahlung von 5.500,- EUR Kaufpreis gem. § 433 Abs. 2 BGB.
H hat gegen W keinen Anspruch auf Zahlung von 5.500,- EUR Kaufpreis gem. § 433 Abs. 2 BGB.
H könnte gegen W einen Anspruch auf Herausgabe der Hebebühne gem. § 985 BGB haben. Dies setzt voraus, dass die Hebebühne eine Sache i. S. d. § 90 BGB, H ihr Eigentümer und W Besitzer ist. Ferner darf W gegen H kein Besitzrecht zustehen.
Am Anfang war laut Sachverhalt H Eigentümer der Hebebühne.
H könnte das Eigentum an der Hebebühne an W durch die Lieferung am 30. 7. verloren haben. Dies setzt voraus, dass hier eine bewegliche Sache vorliegt, H und W sich über den Eigentumsübergang geeinigt haben und die Sache dem W übergeben wurde, § 929 S. 1 BGB. Darüber hinaus muss der Veräußerer berechtigt sein - was in der Regel der Eigentümer ist.
H liefert die Hebebühne am 30. 7. dem W. W nimmt sie in Empfang. Mit diesem Vorgang wird jedenfalls konkludent ersichtlich, dass die Hebebühne den Eigentümer wechseln soll. Ein dinglicher Vertrag liegt vor.
Es stellt sich allerdings die Frage, ob der dingliche Vertrag auch wirksam ist. Er ist nicht wirksam, wenn ein Wirksamkeitshindernis vorliegt. Eine eventuelle Anfechtung gem. § 142 ABs. 1 BGB, die wegen einem Erklärung-, Inhalts- oder Übermittlungsirrtums möglich sein sollte, greift im Falle der Eigentumsübertragung nicht in gleicher Weise, wie bei der Kaufanfechtung oben geschildert. Es müsste sich - wenn überhaupt - um Willensmängel handeln, die sich auf die Lieferung der Hebebühne bezogen haben. Solche sind aber nicht ersichtlich.
Jedenfalls ist im Sachverhalt eine Anfechtungserklärung nicht zu erkennen.
Der Vertrag ist nicht gem. § 142 Abs. 1 BGB nichtig.
Eigentumsübertragung war insofern wirksam.
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