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Version [12583]

Dies ist eine alte Version von MethodikFallbearbeitung erstellt von ChristianeUri am 2011-11-09 00:16:56.

 

Methodik der Fallbearbeitung

Praktische Hinweise für das juristische Gutachten


A. Ziel des juristischen Gutachtens?


Ein vorgegebener (tatsächlicher oder fiktiver) Lebenssachverhalt muss rechtlich eingeordnet/ beurteilt werden. Dabei sind die rechtlichen Proble-me zu erkennen und zu lösen.

B. Grundstruktur der Fallbearbeitung?


1. Methodische Vorbereitung des Fallgutachtens


a. Erfassen des Sachverhalts


Der Sachverhalt
  • Voraussetzung für die erfolgreiche Fallbearbeitung ist das Verständnis des tatsächlichen Geschehens

Faustregel: Sachverhalt ist dreimal vollständig und aufmerksam zu lesen!

Hinweis (!): i. d. R. enthält jeder Satz eine oder mehrere wichtige Informationen für den Sachverhalt
  • werden Informationen als überflüssig erachtet, sollte nochmals geprüft werden, ob Sachverhalt auch tatsächlich verstanden wurde

Mögliche Gefahren beim Verstehen des Sachverhalts:

  • Prüfung nicht relevanter Inhalte („Überinterpretationen“)
Beispiel
Beispiel: Groß (G) leiht seinem Freund Klein (K) sein sportliches Vehikel, damit dieser bei seiner Freundin Hübsch (H) Eindruck schinden kann. In der Folge verursacht H durch eine Unachtsamkeit einen Schaden an dem Auto des G usw.
(Vgl. hier ausführlicher zum Fall)


- überflüssig wäre es hier zu prüfen, ob ein wirksamer Leihvertrag zustande gekommen ist
- dies kann stattdessen unterstellt werden, wenn der Sachverhalt keine Hinweise enthält, dass die Wirksamkeit des Leihvertrags bezweifelt wird
- das Problem liegt hier bei dem verursachten Schaden


  • Korrektur/Änderungen des Sachverhalts
Beispiel
Studentin M mietet sich anlässlich ihres Studiums in Schmalkalden ein möbliertes Zimmer im Studentenwohnheim für einen monatlichen Mietzins i. H. v. 50 €. Die Freude über das Zimmer währt jedoch nicht lange. Als M am ersten Abend in ihr Bett fällt, bricht dieses unter ihr zusammen. M bricht sich dabei einen Arm und kann in der Folge sechs Wochen nicht als Kellnerin jobben.
Welche Ansprüche hat M gegen V.*


- Ausführungen, wonach sich M glücklich schätzen kann, dass sie ein Zimmer im Studentenwohnheim für 50 € bekommen hat, lassen jeden Prüfer verzweifeln
- Korrigieren Sie deshalb niemals die inhaltlichen Angaben im Sachverhalt oder stellen diesen in Frage!

Klausurpraxis: Wie kann ich einen Sachverhalt vollständig erfassen?
  • Markierungen
--> i. d. R. um wichtige Inhalte hervorzuheben
Beachte:
- Markierungen sind sparsam einzusetzen (sonst Gefahr, dass nicht markierte (aber wichtige) Passagen immer wieder überlesen werden)
- beim erstmaligen Lesen nie mit Markierungen beginnen (!)

 (image: https://hssm.hqedv.de/uploads/MethodikFallbearbeitung/MarkierungenNegativbeispiel.jpg)


  • Einteilungen
--> i. d. R. zur Darstellung zeitlicher Abläufe
Beachte:
- enthält der Sachverhalt mehrere zeitliche Angaben, muss die zeitliche Abfolge verstanden werden
- hilfreich kann hier ggf. die Anfertigung eines Zeitstrahls sein

Fallbeispiel
V und K schließen am 09.11.2011 einen Kaufvertrag über eine Gitarre. Zwei Tage später findet die Übereignung der Gitarre und des Kaufpreises statt. Es stellt sich heraus, dass K bis zum 10.11. unter einer krankhaften Psychose litt, die Dank seines Arztes am 11.11. geheilt wurde. Am 12.11. verlangt K seine Gitarre heraus. Zu Recht?
Fallbeispiel in Anlehnung an Wörlen, BGB AT, Rdnrn. 252 ff.


  • Randbemerkungen und Konzeptblatt (Schmierzettel)
--> i. d. R. um die ersten Gedanken zu notieren
Beachte:
- Randbemerkungen sollten sich auf ein Minimum beschränken (sonst auch hier Gefahr der Unübersichtlichkeit)
- es lohnt sich immer die ersten Gedanken zu notieren (bspw. Paragraphen die Ihnen spontan zu den Worten „Besitz“ oder „Eigentum“ einfallen)
- Aber: die ersten Gedanken müssen nicht die Besten sein (spätere Kontrolle immer erforderlich!)


Sofern nicht ausdrücklich gewünscht, wird das Konzeptblatt nicht mit abgegeben!


  • Grafische Skizze
--> i. d. R. um die Beziehung der Beteiligten und ihre Interaktion darzustellen/zu verdeutlichen
Beachte:
- die Skizze ist gewissenhaft anzufertigen
- Skizze dient als „Übersicht“ für das anzufertigende Gutachten
- Achtung (!): Enthält die Skizze einen Fehler, wird dieser ggf. in das Gutachten übernommen


Der Aufgabensteller

  • im Mittelpunkt einer jeden Fallklausur steht ein oder mehrere rechtliche Problemstellungen
  • um das Rechtsproblem entwickelt der Aufgabensteller anschließend den Fall/Lebenssachverhalt
  • der Prüfling analysiert dagegen den Sachverhalt, um das Problem aufzufinden und anschließend rechtlich zu prüfen
  • denken Sie deshalb auch einmal taktisch und fragen Sie sich: „Was hat mein Professor mit der Aufgabenstellung bezweckt?“

In diesem Zusammenhang wird auch klar, dass konkrete Bearbeitungshinweise besonders beachtet werden müssen!!!

b. Qualifizierung der Fallfrage


Der Anspruch als Dreh- und Angelpunkt der Fallklausur

  • Legaldefinition des Anspruchs (vgl. § 194 Abs. 1 BGB): „Das Recht von einem anderen ein (bestimmtes) Tun oder Unterlassen zu verlangen.“

Die Aufgabenstellung/Fallfrage

  • Unterscheidung zw. konkreten und abstrakten Fragestellungen

 (image: https://hssm.hqedv.de/uploads/MethodikFallbearbeitung/ArtenFallfrage.jpg)

  • Ausgangspunkt (bei abstrakten Fragestellungen) = Wer will von wem was (woraus)?

Grundmuster der Fallanalyse

  • „Vier W Frage“ ist Ausgangspunkt (insbes. bei abstrakten Fragestellungen)

 (image: https://hssm.hqedv.de/uploads/MethodikFallbearbeitung/Grundmuster.jpg)

  • Achtung: konkrete Fallfragen haben Priorität und dürfen nicht „verfälscht“ werden!


c. Suche nach Anspruchsgrundlagen


  • die Frage nach dem „woraus“ beschreibt die Suche nach der Anspruchsgrundlage (= wichtigste Stufe in der methodischen Vorbereitung und zugleich Beginn der juristischen Bewertung des Falls)
  • Anspruchsgrundlage wird dem Gutachten als „hypothetisches Ergebnis“ vorangestellt
Beispiel: K könnte gegen V einen Anspruch auf Herausgabe der Gitarre gem. § 985 BGB haben.

d. Anspruchsprüfung


 (image: https://hssm.hqedv.de/uploads/MethodikFallbearbeitung/Anspruchspruefung.jpg)


Was tun, wenn nach mehreren Ansprüchen gefragt wird?

  • Konkrete Fallfragen sind entsprechend ihrer Reihenfolge zu bearbeiten
Beispiel: Kann K die Herausgabe der Gitarre verlangen und mögliche Ersatzansprüche geltend machen?

  • kommen mehrere Ansprüche in Frage, empfiehlt sich nachfolgende (nicht zwingende) Prüfungsreihenfolge:

 (image: https://hssm.hqedv.de/uploads/MethodikFallbearbeitung/RangfolgeAnsprueche.jpg)

2. Das schriftliche Gutachten


a. Gutachten- vs. Urteilsstil


Gutachtenstil ist Grundlage der Fallbearbeitung
 (image: https://hssm.hqedv.de/uploads/MethodikFallbearbeitung/Gutachten_Urteilsstil.jpg)

b. Anforderungen an das juristische Gutachten


Klare Struktur
  • die Struktur soll durchgehend erkennbar sein
    • erfordert eine gute methodische Vor- bzw. Aufbereitung des Sachverhalts
    • klassische Gliederung [(A, I, 1, a), aa), aaa)] anstatt Deweysches Dezimalsystem (1, 1.1, 1.1.1, 1.1.2)

Prägnante Darstellung
  • die Zeit ist in der Klausur immer knapp bemessen
    • knappe Ausführungen, die auf den Punkt gebracht werden
    • präzise und vollständige Obersätze
    • Subsumtion unter das Gesetz (Verzicht auf theoretische Ausführungen aus Lehrbüchern)
    • logische Argumentation
    • Gedankengang muss nachvollziehbar sein

Exaktes Zitieren des Gesetzestextes
  • nach Absatz, Satz, Nummer

Schwerpunkte setzen
  • Faustregel: Unproblematisches kurz (ggf. im Urteilsstil), Problempunkte ausführlicher (im Gutachtenstil) bearbeiten

Keine „Stilblüten“
  • einheitlicher und sauberer Stil; Widersprüche vermeiden

Keine einleitenden Floskeln
  • Negativbeispiel: „Im Weiteren ist zu prüfen, ob A einen Anspruch auf … aus … haben könnte.“
  • Richtig: „A könnte gegen B einen Anspruch auf … aus… haben

Keine persönlichen Hinweise an den Korrektor
  • Beispiele aus Klausuren: „Für Fehler und Schrift …“; „Sorry mehr habe ich nicht geschafft“; „Keine Ahnung“, „MfG“ etc.


3. Hinweise zur Klausur WIPR


a. Allgemeine Hinweise


- einseitiges Beschriften mit 1/3 Korrekturrand
  • Paginieren der Seiten
  • Name und Matrikelnummer auf jeder Seite notieren
  • keine „Schönschrift“ erforderlich, aber lesbar(!)
  • angemessener Abstand zwischen den Zeilen und Absätze erleichtern das Lesen
  • die Farben rot, grün, gelb und ähnliche Farbnuancen sind nicht geeignet, um damit eine mehrseitige Fallklausur zu schreiben
  • Unterschrift am Ende der Klausur

b. Hinweise zur Zeiteinteilung


Drittelregelung als Orientierung, d.h.
    • 1/3 der Bearbeitungszeit für die Vorbereitung des Gutachtens (Verständnis des Sachverhalts, Lösungsskizze u. Ä.)
    • 2/3 der Bearbeitungszeit für die schriftliche Ausarbeitung des Gutachtens

c. Der Klausurtag … eine kleine Checkliste


Nicht vergessen!:
  • Studentenausweis sowie Dokument mit Lichtbild (Perso)
  • bringen Sie entsprechend vorbereitetes Papier mit
  • vergessen Sie niemals Ihren eigenen Gesetzestext
  • Uhr/Wecker, um die Zeit im Blick zu haben (kein Handy)
  • funktionstüchtiges Schreibmaterial
  • Trinken/Kleinigkeit zum Essen

Kurz vor der Klausur:
  • bewahren Sie Ruhe!
  • kein „Kurzschlusspauken“ unmittelbar vor der Klausur

C. Weiterführende Literatur zum Thema:


- Fleck/Arnold: Die Klausur im Zivilrecht - Struktur, Taktik, Darstellung und Stil, JuS 2009, 881-886.
- Körber: Zivilrechtliche Fallbearbeitung in Klausur und Praxis, JuS 2008, S. 289-296.
- Metzler-Müller: Wie löse ich einen Privatrechtsfall?, 6. Aufl., Stuttgart u. a. 2011.
- Pense: Methodik der Fallbearbeitung, 2. Aufl., Münster 2009.
- Wörlen/Schindler: Anleitung zur Lösung von Zivilrechtsfällen, Methodische Hinweise und 22 Musterklausuren, 9. Aufl., Köln 2009.



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