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Internationales Privatrecht

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Erstfrage.jpg 2023-10-06 18:36 114Kb

Anwendung der Sachnormen


A. Ermittlung des ausländischen Rechts

Aus § 293 ZPO folgt, dass das Gericht den Inhalt des anwendbaren ausländischen Rechts von Amts wegen zu ermitteln hat. In der Praxis können die Gerichte diese Arbeit aber nur in den seltensten Fällen leisten, sodass in der Regel Sacherständigengutachten eingeholt werden.

B. Erstfragen, Vorfragen, Teilfragen

Häufig hängt die Beantwortung der Hauptfrage von der Beurteilung eines anderen Rechtsverhältnisses ab. Diese Rechtsverhältnisse (Erstfragen, Vorfragen und Teilfragen) liegen außerhalb des eigentlichen Verweisungsziels der Kollisionsnorm. Sie können deshalb nicht automatisch von dem Sachrecht der für die Hauptfrage berufenen Rechtsordnung (lex causae) mitentschieden werden.
Da diesem Rechtsverhältnis wiederum ein Lebenssachverhalt mit Auslandsberührung zugrunde liegt, ist neben der IPR-Prüfung für die Hauptfrage eine weitere IPR-Prüfung für die Erst-oder Vorfrage vorzunehmen. Problematisch ist in diesem Zusammenhang, dass als Folge dieser Prüfung auf diese Frage u.U. ein anderes Sachrecht anzuwenden ist als auf die Hauptfrage.
Die Wirksamkeit eines einheitlichen Rechtsverhältnisses, das neben einer Hauptfrage eine solche Vorfrage aufwirft, kann deshalb von den verschiedenen zur Anwendung berufenen Sachrechten unterschiedlich beurteilt werden. In diesen Fällen kommt es dann zu sog. hinkenden Rechtsverhältnissen.
In Betracht kommt zum einen eine selbständige Anknüpfung nach dem IPR der lex fori oder eine unselbständige Anknüpfung nach dem IPR der lex causae.

 (image: https://hssm.hqedv.de/uploads/IntPrivatrechtSachnormen/Erstfrage.jpg)

I. Erstfrage (=kollisionsrechtliche Vorfrage i.e.S.

Erstragen werden aufgeworfen, wenn eine Kollisionsnorm in ihrem Tatbestand auf ein bestimmtes Recht bzw. Rechtsverhältnis Bezug nimmt, das wiederum kollisionsrechtlich eingeordnet werden muss. Diese Fragen stellen sich also vor der Verweisung. Die Erstfrage wird auch als kollisionsrechtliche Vorfrage im engeren Sinne bezeichnet. Die Gegenstände der Erstfrage werden in der Regel selbständig angeknüpft, d.h. nach den Kollisionsnormen des eigenen IPR, der lex fori. Die Frage wird vom Kollisionsrecht des Forums aufgeworfen und deshalb auch, um den inneren Entscheidungseinklang herzustellen, nach den gleichen Regeln kollisionsrechtlich entschieden wie die Hauptfrage.

II. Vorfrage

Vorfragen sind Fragen nach dem Bestehen eines präjudiziellen Rechtsverhältnisses, die von dem Kollisionsrecht oder materiellen Recht (lex causae) der berufenen Rechtsordnung aufgeworfen werden. Vorfragen stellen sich folglich erst nach der Verweisung.

III. Teilfrage

Die Teilfrage stellt sich nur nach der Verweisung. Sie betrifft - anders als die Vor- und die Erstfrage - kein eigenständiges Rechtsverhältnis, sondern ist nur als Tatbestandsvoraussetzung einer Hauptfrage erheblich.
Teilfragen werden grds. vom Wirkungsstatut, also der berufenen materiellen Rechtsordnung beantwortet. Sie bilden mit der Hauptfrage einen Lebenssachverhalt und sollen deshalb von derselben Rechtsordnung beherrscht werden.

Um jedoch einzelne Interessen besser berücksichtigen zu können, bestehen für bestimmte Teilfragen Sonderanknüpfungen.
Gesetzlich geregelt sind die Sonderanknüpfungen für folgende Teilfragen:
  • Geschäftsfähigkeit (Art. 7 Abs. 1 EGBGB)
  • Form des Rechtsgeschäfts (Art. 11 EGBGB)
  • Form des Testaments (Art. 26 EGBGB)
  • Ehefähigkeit (Art. 14 EGBGB)
  • Vertretungsmacht (nicht gesetzlich geregelt, aber abgeleitet aus Art. 1 Abs. 2 lit. g Rom I VO)


C. Auslandserfüllung, Substitution

Verweisen die Kollisionsnormen auf deutsches Sachrecht, sind die deutschen Sachnormen anwendbar. Dennoch können auch auf dieser Stufe weitere Berührungspunkte zu anderen Rechtsordnungen liegen. Fraglich ist, ob die inländischen Sachnormen im Einzelfall so ausgelegt werden können, dass ihre Tatbestandsmerkmale auch durch einen ausländischen Sachverhalt erfüllt werden können.

Bei dieser Substitution unterscheidet man drei Fallgruppen:

  • Gegenstände, Naturereignisse und verfahrensabhängige Handlungen von Privaten im Ausland
  • Behördenakte und verfahrensgebundene Privathandlungen im Ausland
  • Gerichtliche Entscheidungen

I. Gegenstände, Naturereignisse und verfahrensunabhängige Handlungen von Privaten im Ausland

Gegenstände, Naturereignisse und verfahrensabhängige Handlungen von Privaten im Ausland stehen grds. solchen im Inland gleich und können als Auslandssachverhalte die deutschen Normen erfüllen. Beispielsweise erfasst § 311 b Abs. 1 BGB auch ausländische Grundstücke. § 844 BGB greift auch bei unerlaubten Handlungen, die im Ausland ausgeführt worden sind.

II. Behördenakte und verfahrensgebundene Privathandlungen im Ausland

Fallbeispiel:

Die Gesellschafter der A-GmbH, die ihren tatsächlichen und satzungsgemäßen Sitz in Köln hat, kommen beim Ski-Fahren in Base auf die Idee, ihre Satzung ändern zu lassen. Sie lassen den Änderungsbeschluss vor einem Schweizer Notar in Basel beurkunden. Nach schweizerischem Recht wäre die Satzungsänderung formwirksam beschlossen worden. Erfüllt die Änderung alle Formerfordernisse?

1. Abwandlung: Der Gesellschafter A der A-GmbH veräußert und überträgt durch notariellen Vertrag in der Schweiz seine Geschäftsanteile an B. Nach schweizerischem Recht wäre die Übertragung wirksam. Der Schweizer Notar überreicht dem Handelsregister des Amtsgerichts Köln eine geänderte Gesellschafterliste. Hat B die Geschäftsanteile des A wirksam erworben?

2. Abwandlung: Der Schweizer Notar überreicht dem Handelsregister des Amtsgerichts Köln keine geänderte Gesellschafterliste. Hat B die Geschäftsanteile des A wirksam erworben?

3. Abwandlung: A veräußert und überträgt seine GmbH-Anteile privatschriftlich an B in der Schweiz. einen Notar ziehen sie nicht hinzu. Nach schweizerischem Recht wäre die Anteilsübertragung wirksam. Hat B die Geschäftsanteile des A wirksam erworben?

Lösung:

Aus der Beurkundung der Satzungsänderung in der Schweiz ergibt sich eine Auslandsberührung. Daher ist zunächst anhand des IPR das anzuwendende Sachrecht zu bestimmen, Art. 3 EGBGB. Vorrangige Kollisionsnormen des Gemeinschafts- oder Völkerrechts sind nicht anwendbar, Art. 3 Nr. 1, 2 EGBGB. So regelt die Rom I-VO ausdrücklich nicht das Gesellschaftsrecht, Art. 1 Abs. 2 lit. f) Rom I-VO.

1. Ermittlung des Gesellschaftsstatuts
Das Gesellschaftsrecht ist im EGBGB nicht geregelt. Rechtsprechung und LEhre streten darum, welcher Anknüpfungspunkt das für juristische Personen maßgebliche Recht bestimmen soll. Hierbei wird teilweise auf den tatsächlichen Sitz der Hauptverwaltung der Gesellschaft verweisen (sog. Sitztheorie). Andere favorisieren das Recht, nach dem die juristische Person gegründet wurde (Gründungstheorie). Vorliegend bedarf die Streitfrage keiner Entscheidung, da Gründungs- wie Sitztheorie gleichermaßen deutsches Sachrecht berufen.

2. Erstreckung des Gesellschaftsstatuts auch auf Formfragen
Fraglich ist allerdings, ob das Gesellschaftsstatut auch über die Formgültigkeit gesellschaftsrechtlicher Akte entscheidet oder ob die Formgültigkeit als Teilfrage nicht vielmehr der Sonderanknüpfung nach Art. 11 EGBGB unterliegt. Danach ist ein Rechtsgeschäft wirksam, wenn es entweder den Formvorschriften des Wirkungsstatuts (Art. 11 Abs. 1, 1. Alt. EGBGB) oder den Formvorschriften des Rechts des Ortes, an dem das Rechtsgeschäft vorgenommen wird (Art. 11 Abs. 1, 2. Alt, EGBGB) genügt. Geschäfts- und Ortsform stehen gleichberechtigt nebeneinander, um die Aussicht auf die Formwirksamkeit des Rechtsgeschäfts zu erhöhen (Günstigkeitsprinzip).

Teilweise wird Art. 11 EGBGB seinem Wortlaut nach für umfassend und damit auch im Gesellschaftsrecht für anwendbar gehalten, um die Formgültigkeit eines Rechtsgeschäfts zu bestimmen. Danach könnte über Art 11 Abs. 1, 2. Alt. EGBGB das Ortsrecht, also Schweizer Recht zur Anwendung kommen. Die Satzungsänderung wäre somit formwirksam beschlossen worden.

Andere befürchten Missbrauchsmöglichkeiten und die Umgehung einer strengeren Geschäftsform, wenn Art. 11 EGBGB zur Bestimmung des Rechts über die Formgültigkeit gesellschaftsrechtlicher Akte angewendet würde und damit den Weg zu einem großzügigeren Ortsrecht frei machte. Jedenfalls organisationsrechtliche Vorgänge, welche die innere Verfassung der Gesellschaft also die Satzung berühren und einer Eintragung im Handelsregister bedürfen, sollen nicht dem Ortsstatut, sondern ausschließlich dem Wirkungsstatut unterliegen, vorliegend also dem Recht, das auf die Gesellschaft anwendbar ist [Ulmer/Habersack/Winter-Behrens, GmbHG, Einl. B Rdnr. 135]. Zudem sollte nach dem Willen des Gesetzgebers das internationale Gesellschaftsrecht ohnehin nicht im EGBGB geregelt werden, was der Anwendbarkeit von Art. 11 EGBGB ebenfalls entgegenstehe.
Die zuletzt genannten Gesichtspunkte sprechen dafür, die Formgültigkeit einer Satzungsänderung, welche die Verfassung der Gesellschaft betrifft und die gemäß § 54 Abs. 1 S. 1 GmbHG zum Handelsregister anzumelden ist, nach dem Gesellschaftsstatut zu beurteilen. Die Gesellschaft wurde in Deutschland gegründet und hat dort auch ihren Sitz. Gründungs- und Sitztheorie berufen damit gleichermaßen deutsches Gesellschaftsrecht. Vorliegend sind also allein die deutschen gesellschaftsrechtlichen Formvorschriften maßgeblich.

3. Anwendung deutschen Sachrechts
Einschlägige Formvorschrift ist § 53 Abs. 2 S. 1, 1. Halbs. GmbHG; gefordert ist eine notarielle Beurkundung der Satzungsänderung. Tatsächlich ist die Änderung der Satzung der A-GmbH von einem Notar beurkundet worden; dabei handelte es sich allerdings nicht um einen deutschen, sondern um einen Schweizer Notar.

Der Fall wirft mithin das Problem des Auslandssachverhalts bzw. der Substitution auf. Ein Auslandssachverhalt ist gegeben, wenn ein Tatbestandsmerkmal einer inländischen Sachnorm durch einen im Ausland bestehenden oder verwirklichten Sachverhalt erfüllt werden soll. Ein ausländisches Rechtsinstitut kann das entsprechende deutsche im Tatbestandsmerkmal einer inländischen Norm ersetzen, wenn die anzuwendende Sachnorm nach ihrem Sinn und Zweck eine Substitution fremder Erscheinungen nicht gänzlich ausschließt und wenn das fremde Institut dem deutschen Institut gleichwertig ist. Ob eine derartige Auslandserfüllung möglich ist, ist durch Auslegung der inländischen Sachnorm zu ermitteln.
Gegen die Möglichkeit einer Substitution nach der deutschen Formvorschrift könnte § 17 Abs. 1 BeurkG sprechen, nach dessen Sinn die Beurkundung nicht nur der Beweissicherung und dem Übereilungsschutz dienen soll, sondern ebenfalls gewährleisten soll, dass die Beteiligten über die rechtliche Tragweite des Geschäfts belehrt werden. Es ist jedoch nicht zu erwarten, dass ein schweizerischer Notar solche Belehrung über deutsches Gesellschaftsrecht leisten kann. Die fehlende Belehrung führt jedoch nicht zur Unwirksamkeit der Beurkundung, sodass es sich hierbei um eine Sollvorschrift handelt, auf deren Befolgung die Parteien verzichten können. Indem sie einen ausländischen Notar aufsuchten, verzichteten die Parteien konkludent auf die Belehrung über deutsches Gesellschaftsrecht. Eine Substitution scheitert vorliegend auch nicht an überragenden öffentlichen Interessen (Grundbuchsicherheit etc.). Ihrem Sinn und Zweck nach schließt § 53 Abs. 2 S. 1, 1. Halbs. GmbhG eine Substitution einer im Ausland erfolgten Beurkundung damit nicht aus.
Fraglich ist, ob die Beurkundung durch einen Baseler Notar derjenigen durch einen deutschen funktional gleichwertig ist. Bei Beurkundungen in der Schweiz kann die Gleichwertigkeit einer Beurkundung jedoch nicht generell angenommen werden, vielmehr ist sie für den jeweiligen Kanton festzustellen. Bejaht wurde die gleichwertigkeit bisher für den Kanton Basel-Stadt und den KAnton Zürich Altstadt. In ihren wesentlichen, unverzichtbaren Funktionen entspricht die Beurkundung der Satzungsänderung durch den Notar in Basel daher der Beurkundung durch einen deutschen Notar. Die Satzungsänderung ist folglich auch i.S.d. § 53 Abs. 2 S. 1 GmbHG formwirksam.





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