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Fall: Befreiung der Großhändler für Arzneimittel von einer Abgabe
A. Sachverhalt
In Frankreich ist der direkte Verkauf von Arzneimitteln durch Pharmahersteller an Apotheken mit einer Abgabe in Höhe von 2,5 % des Umsatzes aus diesem Verkauf belegt. Diese Abgabe ist an die nationale Krankenkasse zu entrichten. Sie trifft Großhändler von Arzneimitteln nicht, weil sie kraft Gesetzes verpflichtet sind, bestimmten Vorrat an Arzneimitteln stets bereit zu halten.
Das französische Unternehmen Ferring SA vertreibt an Apotheken im Direktverkauf Arzneimittel und ist der Auffassung, dass diese Abgabe bzw. die Fehlende Erhebung dieser Abgabe von seinen Wettbewerbern (Großhändlern) rechtswidrig ist.
B. Frage
Ist die Abgabe in ihrer konkreten Ausgestaltung mit dem Europarecht vereinbar?
C. Musterlösung
In der Veranstaltung gemeinsam erarbeiteter Lösungsvorschlag
Lösungsvorschlag vom Aufgabensteller
Es ist zu prüfen, ob die Regelung in Frankreich, nach der eine Abgabe auf Direktverkauf durch Pharmahersteller zu entrichten ist, gegen Gemeinschaftsrecht verstößt. Ein Verstoß gegen europäisches Recht ist gegeben, wenn ein Verstoß gegen das Primärrecht (Gründungsverträge) Oder gegen das Sekundärrecht (europäische Verordnungen, Richtlinien etc.) gegeben ist.
In Betracht kommt hier zum einen ein Verstoß gegen die Grundfreiheiten und zum anderen gegen das Beihilfeverbot. Im Hinblick auf die Grundfreiheiten ist allerdings festzustellen, dass der bei allen Grundfreiheiten erforderliche, grenzüberschreitende Bezug im vorliegenden Fall aus dem Sachverhalt nicht ersichtlich ist. Demzufolge ist ein Verstoß gegen Warenverkehrsfreiheit oder eventuell Dienstleistungsfreiheit nicht feststellbar.
Es ist fraglich, inwiefern im vorliegenden Fall ein Verstoß gegen das Beihilfeverbot des Art. 87 I EGV gegeben ist. Ein solcher ist gegeben, wenn auf diesen Fall Sonderregeln des EGV nicht vorrangig anzuwenden sind, der Tatbestand einer unzulässigen Beihilfe nach Art. 87 I EGV erfüllt ist und kein Rechtfertigungsgrund gem. Art. 87 II, III oder Art. 86 II EGV vorliegt.
1. Spezialregelungen
Die gegenüber Art. 87 I EGV vorrangig anwendbare Regelungen des EGV (in Bezug auf Landwirtschaft gem. Art. 36 oder Verkehr gem. Art. 73 EGV) sind im vorliegenden Fall nicht ersichtlich.
2. Tatbestand der Beihilfe, Art. 87 I EGV
Die in Frage stehende Abgaberegelung könnte eine Beihilfe i. S. d. Art. 87 I EGV darstellen. Dafür ist erforderlich, dass es sich dabei um eine Begünstigung handelt, die staatlichen Ursprung hat, bestimmten Unternehmen (oder Produktionszweige) zugute kommt, den Wettbewerb verfälschen kann und den innergemeinschaftlichen Handel beeinträchtigt.
a. Begünstigung
Die Abgabe für Arzneidirektverkäufer könnte eine Begünstigung darstellen. Dies ist der Fall, wenn sie eine Leistung an die Adressaten darstellt - mittelbarer oder unmittelbarer Art - der gegenüber keine angemessene Gegenleistung steht, sofern die sog. de-minimis-Grenze überschritten ist.
Es ist somit zunächst zu prüfen, inwiefern die Abgabe auf Direktverkauf von Arzneimitteln überhaupt eine Leistung darstellt. Eine Leistung ist jeder geldwerte Vorteil, der - unabhängig von seiner Erscheinungsform - gewährt wird. Eine Abgabe ist in erster Linie eine zusätzliche Belastung von Unternehmen, so dass dabei direkt keine Rede von einer Leistung sein kann. Sofern eine Abgabe jedoch nicht von allen Rechtssubjekten entrichtet werden muss, kann der Verzicht auf Erhebung der Abgabe bei einem Teil der Betroffenen eine Leistung in der Weise begründen, dass der Staat diesen Unternehmen eine verminderte Belastung zuerkennt.
Im vorliegenden Fall verzichtet der französische Staat auf Erhebung der Abgabe auf Direktverkauf von Arzneimitteln bei denjenigen Arzneimittelverkäufern, die als Großhändler auftreten und diese nicht als Hersteller direkt verkaufen. Demzufolge sind Großhändler durch die Befreiung von der Abgabe durchaus bevorteilt, so dass in der Befreiung von der Abgabe eine Leistung i. S. einer Beihilfe nach Art. 87 I EGV zu sehen ist.
Da die verminderte Abgabenbelastung dem Rechtssubjekt direkt zugute kommt, ist eine Leistung unmittelbar an die betroffenen Rechtssubjekte anzunehmen.
Da davon auszugehen ist, dass die Befreiung der Großhändler in Frankreich von einer Abgabe in Höhe von 2,5 % des Umsatzes zu einem Gesamtumfang der Befreiung über die de-minimis-Grenze (200.000 EUR) hinaus führen kann, bleibt zu prüfen, inwiefern die in der Befreiung von der Abgabe liegende Leistung nicht durch eine Gegenleistung der befreiten Unternehmen kompensiert wird. Eine Gegenleistung ist insbesondere in den Fällen anzunehmen, in denen für die Leistung ein Marktpreis gezahlt wird, was einen transparenten Markt für die Leistung voraussetzt. Dies ist im Falle einer Befreiung von einer Abgabe ausgeschlossen. Ein anderes Indiz für eine angemessene Gegenleistung kann eine transparente Ausschreibung für die Leistung sein, was hier ebenfalls nicht gegeben ist. Der Vergleich mit dem "private Investor" ist ebenfalls schwierig, weil die durch die Arzneimittelgroßhändler zu erbringende Gegenleistung für die Befreiung von der Abgabe - Haltung eines Vorrats von Medikamenten zu Zwecken effektiver Versorgung mit diesen - weniger aus wirtschaftlichen Gründen erbracht werden soll und mehr aus Gründen des Gemeinwohls.
Eine Gegenleistung ist allerdings nach Rechtsprechung des EuGH auch dann möglich, wenn die staatliche Leistung eine Kompensation der Kosten einer auf Private Rechtssubjekte übertragenen Aufgabe des Gemeinwohls darstellt.
Hier: Altmark-Urteil und seine Kriterien.
3. Rechtfertigung der Beihilfe
Hier Art. 86 II EGV
D. Lösungshinweise
Sachverhalt auf der Grundlage der Entscheidung des EuGH Ferring. Eine übersichtliche Zusammenfassung des Urteils ist bei eWerk zu finden: http://www.ewerk.hu-berlin.de/node/130.
Der EuGH war u. a. mit folgenden Fragen beschäftigt:
- Kann die Abgabe (bzw. ihre Nichterhebung bei einem Teil der Marktteilnehmer) als staatliche Beihilfe im Sinne von Art. 87 EG angesehen werden?
- Kann eine solche Beihilfe gerechtfertigt sein?
- Sind Pharmagroßhändler mit Dienstleistungen von allgemeinem wirtschaftlichem Interesse gemäß Art. 86 Abs. 2 EG betraut?
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