Version [13609]
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Fallbeispiel 11
A. Sachverhalt
Der leidenschaftliche Antiquitätenhändler V betreibt in Schmalkalden ein Antiquariat. In seinem Katalog bietet er einen Bildband über die Fachwerkstadt Schmalkalden unter der Bestellziffer 454 für 50€ an. K aus Bamberg liebt Städtereisen und möchte sich über die wunderschöne Stadt Schmalkalden informieren, da dorthin seine nächste Reise gehen soll.
Er füllt die Bestellkarte aus, verschreibt sich aber und setzt die Bestellziffer 445 ein. Unter der Ziffer 445 wird jedoch ein historischer Palandt für 150 € geführt. Nach Erhaltung der Bestellkarte macht V diesen Palandt versandfertig. Innerhalb von zwei Tagen ist das Paket des V in Bamberg angekommen. Nachdem K das Paket geöffnet hat und die falsche Lieferung sieht, schickt er den Palandt umgehend zurück und ruft bei V an. In diesem Telefonat klärt sich das Missverständnis auf. K ist der Ansicht, er habe mit der Rücksendung des Buches alles
seinerseits Erforderliche getan. An seine Erklärung fühle er sich nun nicht mehr gebunden. V hingegen meint, K sei zur Bezahlung des Kaufpreises verpflichtet. Außerdem hätte er den Bildband dem K überhaupt nicht verkaufen wollen.
B. Fallfrage
Hat V einen Anspruch auf Bezahlung des Kaufpreises in Höhe von 150€?
C. Lösung
Anspruch des V gegen K auf Kaufpreiszahlung aus § 433 Abs. 2 BGB
V könnte gegen K einen Anspruch auf Kaufpreiszahlung in Höhe von 150 € aus § 433 Abs. 2 BGB haben, wenn ein wirksamer Kaufvertrag über den Palandt vorliegt.
I. Abschluss eines Kaufvertrags
Ein Kaufvertrag kommt durch Angebot und Annahme zustande, §§ 145 ff. BGB. Das Angebot muss so hinreichend bestimmt sein, dass das Zustandekommen des Vertrages nur noch von dem Einverständnis des anderen Teils abhängt. Daher müssen die wesentlichen Vertragsbestandteile (essentialia negotii) - beim Kaufvertrag der Kaufgegenstand und ein Kaufpreis - Inhalt des Angebots sein.
1. Angebot durch Zusenden des Katalogs
Das Zusenden des Katalogs könnte bereits ein Angebot des V über den mit Kaufpreis angeführten Palandt darstellen. Fraglich ist aber, ob dieses Angebot hinreichend bestimmt ist, weil bei Abgabe des Angebots die Person des Vertragspartners noch nicht feststeht. Durch Auslegung anhand der §§ 133, 157 BGB muss ermittelt werden, ob V ein Vertragsangebot an die Allgemeinheit (sog. invitatio ad incertas personas) abgeben, d.h. sich gegenüber einer Vielzahl von Personen rechtlich binden wollte, oder ob es sich um eine bloße Aufforderung zur Abgabe einer Offerte (sog. invitatio ad offerendum) handelt, also der Rechtsbindungswille fehlt. Würde das Zusenden des Katalogs bereits ein bindendes Angebot beinhalten, dann könnte eine unbegrenzte Zahl von Personen durch Annahme einen Vertragsschluss zustande bringen. Alle Verträge wären gültig, V könnte aber nur einen Vertrag erfüllen und würde sich gegenüber den anderen Vertragspartnern wegen Nichterfüllung der Verträge schadenersatzpflichtig machen. Auch könnte jemand das Angebot annehmen, den V - etwa wegen Zahlungsunfähigkeit - als Vertragspartner ablehnt. Aus diesem Grund ist die Übersendung eines Katalogs an mehrere Adressaten nur als Aufforderung zur Offerte und nicht als bindendes Angebot zu verstehen.
2. Angebot durch Ausfüllen der Bestellkarte
Auf diese invitatio ad offerendum könnte K ein Angebot mittels der Bestellkarte abgegeben haben. Mit dem Eintragen der Bestellziffer 445 hat K nach objektivem Empfängerhorizont zum Ausdruck gebracht, dass er den Palandt zum Preis von 150 € kaufen möchte. Tatsächlich wollte er jedoch den Bildband zum Preis von 50 € erwerben. Dieses Auseinanderfallen von Wille und Erklärung könnte für die Wirksamkeit der Willenserklärung, die sich aus beiden Elementen zusammensetzt, von Bedeutung sein. Der Willenserklärung fehlt der Geschäftswille, d. h. der Wille, das vorliegende Geschäft (den Kaufvertrag über den Palandt) abzuschließen. Aus dem Recht der Willensmängel, insbesondere aus den §§ 119 ff. BGB, ergibt sich aber, dass eine aus Empfängersicht auf einen bestimmten Rechtserfolg gerichtete Willenserklärung aus Vertrauensschutzgründen und im Verkehrsinteresse als wirksam erachtet wird, selbst wenn der innere Wille des Erklärenden von dem Erklärungstatbestand
abweicht. Das Gesetz knüpft an die fehlerhafte Willenserklärung nicht die Folge der Nichtigkeit, vielmehr wird das Recht des Erklärenden zur privatautonomen Gestaltung durch die Möglichkeit einer Anfechtung gewahrt. Somit liegt trotz des fehlenden Geschäftswillens ein wirksames Angebot des K vor.
3. Annahme
Dieses Angebot des K auf Abschluss eines Kaufvertrages über den Palandt hat V durch
das Bereitstellen zum Versand nach § 151 S. l Alt. l BGB angenommen. Zwischen K und V ist ein wirksamer Kaufvertrag über die Biographie zustande gekommen.
II. Nichtigkeit des Kaufvertrages nach § 142 I BGB
Der Kaufvertrag könnte jedoch durch Anfechtung des K mit Wirkung ex tunc gemäß § 142 Abs. 1 BGB nichtig geworden sein. Die Anfechtung setzt als Gestaltungsakt einen Anfechtungsgrund, eine Anfechtungserklärung und die Einhaltung der Anfechtungsfrist voraus.
1. Anfechtungsgrund
Als Anfechtungsgrund kommt ein Erklärungsirrtum nach § 119 Abs. 1 Alt. 2 BGB, d.h. ein Irrtum bei der Willensäußerung, in Betracht. Ein Irrtum über die Erklärungshandlung liegt vor, wenn der Erklärende eine Erklärung dieses Inhalts bei Kenntnis der Sachlage und bei verständiger Würdigung des Falles nicht abgeben wollte. Dies ist typischerweise der Fall, wenn der Erklärende sich verspricht oder - wie hier - verschreibt.
2. Anfechtungserklärung
Eine ausdrückliche Anfechtungserklärung liegt nicht vor. Jedoch bringt K in dem Telefonat mit V zum Ausdruck, dass er von dem Rechtsgeschäft Abstand nehmen möchte. Eine solche Erklärung genügt den Anforderungen des § 143 Abs. 1 BGB, dass Wort „Anfechtung“ muss in der Erklärung nicht enthalten sein.
3. Anfechtungsfrist
Weiterhin muss K die nach § 121 Abs. 1 BGB erforderliche Anfechtungsfrist eingehalten
haben. Die Anfechtungserklärung muss unverzüglich, d.h. ohne schuldhaftes Zögern nach Kenntnis des Anfechtungsgrundes, abgegeben werden. Auch dies ist hier zu bejahen. Damit ist der Kaufvertrag über den Palandt mit Wirkung ex tunc nichtig.
III. Ergebnis
Ein Zahlungsanspruch aus § 433 Abs. 2 BGB besteht nicht.
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