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Version [912]

Dies ist eine alte Version von Fall6OeRJH erstellt von WojciechLisiewicz am 2009-06-20 15:11:13.

 

Fallbeispiel: Ein Sachverständiger zu viel



A. Sachverhalt

Der Maschinenbauingenieur A erstellt häufig für private und öffentliche Stellen (z. B. Polizei und Staatsanwaltschaft anlässlich von Straßenverkehrsunfällen) Gutachten über Unfallursachen und Schadenswerte. Er möchte sich gern vollständig auf diese freiberufliche Gutachtertätigkeit spezialisieren und möchte auch als vereidigter Sachverständiger für Straßenverkehrsunfälle bestellt werden.
Den Antrag lehnt die zuständige IHK jedoch mit der Begründung ab, weil kein Bedürfnis für einen weiteren Sachverständigen in der Umgebung des Wohnortes des A bestehe - es gäbe dort eine ausreichende Anzahl von Sachverständigen.
A fragt seinen Rechtsanwalt, ob die Ablehnung rechtmäßig ist. Der Anwalt bestätigt, dass § 36 I 1 der Gewerbeordnung eine Bedarfsprüfung vorsieht, hat aber Bedenken, ob ein derartiges Vorgehen aus Sicht der Verfassung richtig war.

Frage: War die Ablehnung verfassungsmäßig?


B. Lösungsskizze
Die Maßnahme ist verfassungswidrig, wenn sie gegen die Regelungen des Grundgesetzes verstößt. In Betracht kommen hier der Verstoß gegen das Grundrecht aus Art. 12 GG sowie gegen das Bestimmtheitsgebot als Ausprägung des Art. 20 GG.

1. Verletzung der Berufsfreiheit
Die Versagung der Bestellung als Sachverständiger verletzt den A in seinen Grundrechten, wenn sie in den Schutzbereich des Grundrechts aus Art. 12 GG eingreift, ohne dass es dafür eine im Grundgesetz vorgesehene Rechtfertigung gibt.

a. Schutzbereich
- persönlich: Deutsche - keine Anhaltspunkte, dass A keiner ist
- sachlich: Beruf? die Tätigkeit als Sachverständiger ist Beruf i. S. d. Art. 12 GG (Tätigkeit auf Dauer, zur Erhaltung der Lebensgrundlage etc.) (+)

b. Eingriff
Problem: Dem A verbietet niemand, seine Tätigkeit auszuüben. Also wird der Zugang zum Beruf nicht beeinträchtigt. Aber: seine Wettbewerbschancen gegenüber anderen (bestellten) Spezialisten sind deutlich geringer!
Also: mindestens Berufsausübung eingeschränkt.

c. Keine Rechtfertigung
Wenn es um Berufswahl ginge, wäre es die höchste Stufe: objektive Schranke.

Hier handelt es sich um Regelung der Berufsausübung, aber in einem wettbewerblich relevanten Bereich. Deshalb ist der objektive Charakter der Ausübungsregelung nicht ohne Bedeutung. Der Umstand, dass eine objektive Beschränkung für A aufgestellt wird, ist bei der Prüfung der Verhältnismäßigkeit zu prüfen:

- Zweck: muss schon Gewicht haben, reine Verwaltungstechnische Erwägungen reichen nicht;
-






2. Bestimmtheitsgebot
Die Versagung der IHK verstößt gegen das Grundgesetz, wenn sie auf einer verfassungswidrigen Grundlage ergangen ist. Es stellt sich die Frage, inwiefern das Gesetz pauschal vorsehen kann, dass die Behörde eine Bestellung zum Sachverständigen nur dann durchführt, "sofern für diese Sachgebiete ein Bedarf an Sachverständigenleistungen besteht".

Die Vorschrift klärt nicht, inwiefern damit nur eine allgemeine Prüfung stattfinden soll, ob für ein bestimmtes Sachgebiet überhaupt Sachverständige benötigt werden (also gegebenenfalls wettbewerbsneutral alle Interessierten von der Bestellung ausschließt) oder aber ob unter mehreren Bewerbern einige - nach Feststellung der Bedarfsdeckung - von der Bestellung ausgeschlossen werden dürfen (mit Konsequenz für ihre Wettbewerbsposition).

Die Vorschrift lässt mehrere Interpretationen zu, also stellt sie keine hinreichend bestimmte Grundlage für den Eingriff in die Grundrechte des Betroffenen dar. Da jedoch eine Auslegung der Vorschrift möglich ist, mit der die Möglichkeiten der Behörde auf allgemeine Bedarfsprüfung beschränkt werden, so kann die Vorschrift an sich unberührt bleiben, sofern bei ihrer Anwendung zwingend berücksichtigt wird, dass sie im Lichte der Grundrechte (Art. 12 GG) auszulegen ist.

Sofern die Vorschrift des § 36 GewO dahingehend ausgelegt wird, dass eine den Wettbewerb beeinträchtigende Auslegung nicht zugelassen wird (nur allgemeine Bedarfsprüfung, ob ein bestimmtes Sachgebiet eines Sachverständigen bedarf), ist sie verfassungsgemäß. Eine Anwendung der Vorschrift, die diese Auslegung jedoch missachtet, ist verfassungswidrig.







Siehe auch: vgl. BVerfG NJW 1992, 2621


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