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Fallbeispiel: Alkoholgehalt im Likör
A. Sachverhalt
Der Getränkeimporteur A wollte aus Frankreich den Likör aus schwarzen Johannisbeeren mit dem französischen Namen "Cassis de Dijon" in Deutschland verkaufen. Nach deutschem Recht konnte ein Likör nur dann in Verkehr gebracht werden, wenn er mindestens 25 % Alkoholgehalt aufwies. Als Begründung der Regelung beruft sich der deutsche Gesetzgeber auf Verbraucherschutz - auf dem deutschen Markt ist es nicht üblich, vergleichbare alkoholische Getränke mit niedrigerem Alkoholgehalt zu verkaufen. Damit wäre der Verbraucher getäuscht, wenn er ein Produkt dieser Art mit niedrigerem Alkoholgehalt vorfindet.
Die zuständige Behörde verbietet dem A den Vertrieb des Likörs in Deutschland unter Berufung auf die unterschiedslos für alle alkoholischen Getränke geltende Vorschrift des deutschen Rechts.
A ist damit nicht einverstanden und beruft sich auf die Warenverkehrsfreiheit innerhalb des europäischen Binnenmarktes.
Frage: Ist das Verbot mit europäischem Recht vereinbar?
B. Lösungsskizze
Das Verbot ist mit Europarecht vereinbar, wenn es weder gegen das Primärrecht noch gegen das Sekundärrecht der Gemeinschaften verstößt. In Betracht kommt hier ein Verstoß gegen die Warenverkehrsfreiheit nach Art. 34 ff AEUV.
1. Anwendbarkeit der Warenverkehrsfreiheit - keine Sondervorschriften
- die Berufung auf die Warenverkehrsfreiheit nur dann, wenn keine besondere Regelung greift, die Vorrang hätte vor Art. 34 ff AEUV; dies können insbesondere Waffengeschäfte (Art. 16 AEUV) oder staatliche Monopole (Art. 106 AEUV) sein;
- hier nicht ersichtlich, also Ergebnis (+)
2. persönlicher Anwendungsbereich/Schutzbereich ist betroffen wenn,
- sich betroffene Person auf Warenverkehrsfreiheit beruft ( dies kann jdermann).
Ergebnis:(+)
3. Sachlicher Anwendungsbereich - Warenverkehr betroffen
- Ware? - alkoholisches Getränk (+)
- in der EU hergestellt (Frankreich) - Bezug zur Gemeinschaft (+)
- Import - Handlung erfasst vom Schutzbereich (+)
- grenzüberschreitend - von F nach D (+)
Also: Warenverkehrsfreiheit ist betroffen, Anwendungs-/Schutzbereich betroffen (+)
4. Beschränkung (Eingriff)
Gegeben, wenn:
- staatliche Maßnahme
- hat Folge = Handelsbeschränkung
Handelsbeschränkung wiederum, wenn:
- Einfuhr- oder
- Ausfuhrbeschränkung gegeben.
Hier: denkbar Einfuhrbeschränkung. Diese gegeben, wenn:
- mengenmäßige Beschränkung (-) oder
- Maßnahme gleicher Wirkung.
Möglich Maßnahme gleicher Wirkung, denn niemand stellt Quoten etc. auf. Und für Maßnahmen gleicher Wirkung gilt die Dogmatik des EuGH:
- Handelsbeschränkung (beliebig - Dassonville)
- keine Verkaufsmodalität (Keck)
a. Dassonville (+)
- jede Maßnahme - egal, ob sie diskriminiert oder nicht
- die mindestens potentiell und mittelbar (muss nicht faktisch und direkt sein!)
- Nähebeziehung Maßn.=> Wirkung ( modifizierte Dassonville-Formel)
b. Keck (+)
Allerdings erfüllt nicht jede Beschränkung des Handels den Tatbestand des Art. 34 AEUV! Negative VSS stellt die Keck-Formel auf. Eine Beschränkung fällt nicht unter die Warenverkehrsfreiheit, wenn:
- sie eine reine Verkaufsmodalität darstellt (Abgrenzung Vertriebsanforderungen vs. Produktanforderungen)
- nichtdiskriminierend ist, also unterschiedslos für alle Waren ebenso gilt
- und nicht den Marktzugang behindert
Dies ist aber noch kein Ende der Prüfung!
5. Keine Rechtfertigung
Beeinträchtigungen können noch kraft AEUV gerechtfertigt sein - Art. 36 AEUV.
Rechtfertigung durch immanente Schranke begrenzt (Cassis)
a. Casis
- im nichtharmonisierten Bereich
- eine nichtdiskriminierende Maßnahme durch den MS ergriffen wurde
- diese aus zwingenden Gründen geboten ist (steuerliche Kontrolle, Verbraucherschutz etc.) (+)
- diese verhältnismäßig ist (für den zwingenden Grund geeignet, erforderlich, angemessen)
Alles (+) aber nicht verhältnismäßig! Verbraucherschutz überzeugt hier nicht, eine mildere Maßnahme (Kennzeichnung) hätte gereicht.
Fazit: Zwar sind manche Beeinträchtigungen durchaus geboten, aber hier keine immanente Schranke.
Rechtfertigung durch EU-Grundrechte
Hier aber (-) also Keine Rechtfertigung (+).
Ergebnis:
Verstoß gegen Warenverkehrsfreiheit ist gegeben.
vgl. EuGH, Rs. 120/78, Slg. 1979, 649
vgl. Hoffmann/Oddendahl, S. 79 ff.
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