Prozeduren im Energierecht
Fallbeispiel
A. Sachverhalt
Der in Sachsen tätige Gasversorger SachsenGas (S) versorgte in der vergangenen Regulierungsperiode ca. 98.000 Kunden mit Erdgas. Wegen der steigenden Kundenzahlen (soeben wurde die Marke von 100.000 durch S versorgter Kunden überschritten) musste S die Entflechtungsvorschriften des EnWG umsetzen, weshalb eine SachsenGas Netz GmbH (SN) aus der S ausgegliedert wurde. Die komplette Abwicklung und Abrechnung der Vertragsverhältnisse zwischen der SN und ihren (Netz)Kunden übernimmt allerdings nach wie vor die S aufgrund von entsprechenden, mit T abgeschlossenen Verträgen.
Was kann die Geschäftsführung von SN gegen die Entscheidungen der Landesregulierungsbehörde tun?
SN könnte sich des Rechtsmittels der Beschwerde die gem. § 75 EnWG zulässig ist gegen Entscheidungsn der Regulierungsbehörde.
Die Beschwerde hat Aussicht auf Erfolg wenn sie zulässig und begründet ist.
1. Zulässigkeit
a) Rechtsweg/sachliche Zuständigkeit
Zuständig für Entscheidungen gegen Regulierungsbehörden ist gem. § 75 Abs. 4 EnWG das für den Sitz der Regulierungsbehörde zuständige Oberlandesgericht. Das zuständige Oberlandesgericht für die BNetzA ist das OLG Düsseldorf.
b) Beschwerdegegenstand
Die Beschwerde ist als statthaftes Rechtsmittel gegen Entscheidungen (§ 75 Abs. 1 EnWG) zulässig.
c) Beschwerdebefugnis
Das Beschwerderecht steht allen Beteiligten zu, auch Beigeladenen (Personen und Personenvereinigungen, deren Interessen durch die Entscheidung erheblich berührt werden und die die Regulierungsbehörde auf ihren Antrag zu dem Verfahren beigeladen hat).
d) Beschwerdefrist und -Form
Gemäß § 78 Abs.1 S.1 EnWG muss die Beschwerde binnen einer Frist von einem Monat bei der Regulierungsbehörde schriftlich eingereicht werden. Die Frist beginnt mit der Zustellung der Entscheidung der Regulierungsbehörde. Es genügt, wenn die Beschwerde innerhalb der Frist bei dem Beschwerdegericht eingeht. Die Beschwerde ist nach § 78 Abs. 3 EnWG zu begründen. Genaueres regelt § 78 Abs. 4 EnWG. Zu beachten ist der Rechtsanwaltszwang nach § 78 Abs. 5 EnWG.
2. Begründetheit
Sind die Zulässigkeitsvoraussetzungen erfüllt, wird die Beschwerde im nächsten Schritt auf ihre Begründetheit hin untersucht.
Die Beschwerde ist begründet, wenn die durch sie beanstandete Rechtsverletzung tatsächlich vorliegt. Im vorliegenden Fall wäre zu prüfen, ob die Beanstandung der Regulierungsbehörde Dresden dadurch eine Verletzung darstellt durch das sie nicht gerechtfertigt ist.
3. Beschwerdeverfahren
Wird der Beschwerde stattgegeben, kommt es zu einer mündlichen Verhandlung gem. § 81 EnWG. Eine Entscheidung ohne mündliche Verhandlung ist nur im Einvernehmen mit den Beteiligten möglich.
Hierbei gilt der Untersuchungsgrundsatz (§ 82 EnWG). Die Erforschungspflicht des Gerichts erfolgt von Amts wegen. Der Vorsitzende hat die Pflicht auf folgendes hinzuwirken:
- Beseitigung von Formfehlern
- Erläuterung unklarer Anträge / Stellung sachdienlicher Anträge
- Ergänzung ungenügender tatsächlicher Angaben
- Abgabe aller für die Feststellung und Beurteilung der Sache wesentlichen Erklärungen
Den Beteiligten kann aufgeben werden:
- Äußerung zu aufklärungsbedürftigen Punkten
- Bezeichnung von Beweismitteln
- Vorlage von Urkunden und Beweismitteln
Bei unzureichender / verspäteter Mitwirkung der Beteiligten hat das Gericht die Möglichkeit, nach Lage der Sache zu entscheiden (§ 82 Abs. 4 EnWG).
Sind die Beteiligten in dem Verhandlungstermin trotz rechtzeitiger Benachrichtigung nicht erschienen oder gehörig vertreten, so kann gleichwohl in der Sache verhandelt und entschieden werden, § 81 Abs. 2 EnWG
Nach § 81 Abs. 1 S.1 EnWG entscheidet das Beschwerdegericht durch Beschluss nach seiner freien, aus dem Gesamtergebnis des Verfahrens gewonnenen Überzeugung.
Möglicher Beschlusstenor kann sein:
- Aufhebung der Entscheidung der Regulierungsbehörde (§ 83 Abs. 2 EnWG)
- Abweisung der Beschwerde
- Bei vorheriger Rücknahme / Erledigung: (nur) bei berechtigtem Interesse erfolgt auf Antrag Feststellung, dass Entscheidung der Regulierungsbehörde unzulässig bzw. unbegründet gewesen ist (§ 83 Abs. 2 S. 2 EnWG)
- Bei Ablehnung oder Unterlassen einer Entscheidung: Verpflichtung der Behörde zur Vornahme der beantragten Entscheidung (§ 83 abs. 4 EnWG)
Eine Zulassung der Rechtsbeschwerde zum BGH ist durch das OLG mitzuentscheiden (§ 86 Abs. 3 S. 1 EnWG).
Muss SN während der Überprüfung der Entscheidung die Anordnungen befolgen?
Grundsätzlich verneint § 76 Abs. 1 S. 1 EnWG die aufschiebende Wirkung der Beschwerde. Die hätte zur Folge, dass Anordnungen der Regulierungsbehörde sofort auszuführen sind.
1. Ausnahme § 76 Abs. 1 S.1 EnWG
Eine Ausnahme von diesem Grundsatz macht § 76 Abs. 1 S.1 EnWG für Entscheidungen zur Durchsetzung der Verpflichtungen nach den §§ 7 und 8.
§§ 7 und 8 betreffen die rechtliche und die eigentumsrechtliche Entflechtung. Es ist folglich zu prüfen ob SN rechtlich oder eigentumsrechtlich entflochten wurde.
a) Rechtliche Entflechtung gem. § 7 EnWG?
Unter der rechtlichen Entflechtung versteht man die vollständige gesellschaftsrechtliche Trennung des Netzbetriebes von anderen energiewirtschaftlichen Tätigkeiten. Laut Sachverhalt lässt SN aber weiterhin die komplette Abwicklung und Abrechnung der Vertragsverhältnisse über S laufen. Somit liegt eine rechtliche Entflechtung nicht vor.
b) Eigentumsrechtliche Entflechtung, gem. § 8 EnWG?
Bei Ownership Unbundling werden die gesamten Eigentümerstrukturen aufgetrennt. Laut Sachverhalt kann von einer eigentumsrechtlichen Entflechtung nicht ausgegangen werden.
c) Operationelle Entflechtung gem. § 7a EnWG
Auf das Vorliegen der operationellen Enflechtung kommt es nicht an, da diese nicht von der Ausnahmeregelung nach § 76 EnWG erfasst ist.
Folglich geht es nicht um die Durchsetzung einer Verpflichtung aus §§ 7, 8 EnWG. Die Ausnahmeregelung aus § 76 EnWG greift nicht. Es bleibt daher beim Grundsatz, dass die Beschwerde aufschiebende Wirkung hat. SN muss die Anordnungen der Landesregulierungsbehörde sofort zu befolgen.
2. Ausnahme § 77 Abs. 1 EnWG
Die Regulierungsbehörde kann in den Fällen des § 76 Abs. 1 EnWG eine sofortige Vollziehung der Entscheidung anordnen, wenn dies im öffentlichen Interesse oder im überwiegenden Interesse eines Beteiligten geboten ist.
Unter öffentlichen Interesse wird üblicherweise, die Erhaltung des offenen Marktes gesehen. Da die unrichtige Entflechtung einem offenen Markt entgegensteht, könnte dies eine sofortige Vollziehung nach sich ziehen. Der Gasversorger S im Sachverhalt ist aber ein relativ kleines Gasversorgungsunternehmen und selbst bei einer unrichtigen Entflechtung ist so die Offenheit des Marktes nicht in Gefahr.
Antwort: SN muss während der Überprüfung der Entscheidung die Anordnung nicht befolgen gem. § 75 Abs. 1 EnWG.
Bei der Anordnung der Regulierungsbehörde handelt es sich um einen Verwaltungsakt. Folglich ist bei der Rechtmäßigkeitsprüfung der Entscheidung auf das allgemeine Prüfungsschema des Verwaltungsaktes zurückzugreifen.
I. Ermächtigungsgrundlage
II. Formelle Rechtmäßigkeit
1. Zuständigkeit
a. sachlich
b. örtlich
c. instanziell
2. Verfahren
3. Form
III. Materielle Rechtmäßigkeit
I. Ermächtigungsgrundlage
Der § 65 EnWG ist als Generalklausel die Ermächtigungsgrundlage für den Erlass von Verwaltungsakten im Sinne von § 35 VwVfG.
II. Formelle Rechtmäßigkeit
Für die formelle Rechtmäßigkeit kommt es auf die Richtigkeit der Zuständigkeit, des Verfahrens und der Form an.
1. Zuständigkeit
Die Frage der Zuständigkeit wird im § 54 EnWG geregelt. Hierbei gilt, dass die Zuständigkeit der Regulierung grundsätzlich bei der Bundesnetzagentur liegt. Ausnahmsweise könnte aber die Landesregulierungsbehörde zuständig sein:
- Landesgrenze
Die Landesregulierungsbehörde ist zuständig wenn die Grenzen eines Bundeslandes nicht überschritten werden. Eine Überschreitung liegt nicht vor. Danach wäre die Landesregulierungsbehörde Dresden zuständig gewesen.
- 1. Stufe: Katalog-Tatbestände des § 54 EnWG
Die Landesregulierungsbehörde ist außerdem zuständig wenn ein Tatbestand aus § 54 EnWG zutrifft. Hier geht es um die Überwachung von Entflechtungsvorschriften womit § 54 Abs. 2 Nr. 4 greift. Formelle Richtigkeit ist demgemäß bis hier gegeben.
- 2. Stufe: Zahl der angeschlossenen Kunden
§ 54 Abs. 2 EnWG enthält die Einschränkung, dass der Zuständigkeitskatalog der Landesregulierungsbehörde nur gilt soweit Energieversorgungsunternehmen betroffen sind, an deren Elektrizitäts- oder Gasverteilernetz jeweils weniger als 100 000 Kunden unmittelbar oder mittelbar angeschlossen sind. Laut Sachverhalt wurde diese Grenze überschritten. Folglich war die Landesregulierungsbehörde hier nicht zuständig. Formelle Rechtmäßigkeit ist daher nicht gegeben.
Anzuwenden ist wieder das allgemeine Prüfungsschema.
I. Ermächtigungsgrundlage
II. Formelle Rechtmäßigkeit
1) Zuständigkeit
Wie so eben festgestellt, müsste die BNetzA als zuständige Regulierungsbehörde fungieren um die formellen Voraussetzungen zu erfüllen.
2) Verfahren
Es handelt sich um eine Anordnungsverfügung gem. § 65 Abs. 2 EnWG. Es gestattet ein Tätigwerden der Regulierungsbehörde zur Beseitigung eines unmittelbar bevorstehenden oder gegenwärtigen Störungszustandes. Abs. 2 enthält die ausdrückliche Ermächtigung der Regulierungsbehörde, über eine bloße Untersagung hinaus, konkrete Vorgaben hinsichtlich der Wiederherstellung eines rechtmäßigen Zustands zu machen.
3) Form
Die Anordnungsverfügung muss als Verwaltungsakt hinreichende bestimmt sein gemäß § 37 Abs. 1 VwfVG. Die Adressaten, hier SN und S müssen in der Lage sein, zu erkennen, was von ihnen gefordert wird.
III. Materielle Rechtmäßigkeit
Tatbestandsmerkmale:
- Fortdauer der Zuwiderhandlung (+) Unbundling dauert an
- Verhältnismäßigkeit (+) struktureller Charakter
- Adressat (+) S und SN
- Ermessen (+)
Rechtsfolge:
Die Regulierungsbehörde wird pauschal zu Maßnahmen ermächtigt.
Verfügungen nach § 65 EnWG sind befehlender, nicht gestaltender Natur, da das beanstandete Verhalten bereits untersagt ist.
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