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Wirtschaftsprivatrecht II
Deliktischer Schadensersatz
Teil 2: Schadensumfangsrecht
Das Bestehen eines Schadensersatzanspruchs allein bringt dem Gläubiger nichts. Er kann einen Schadensersatz nur erlangen, wenn er einen ersatzfähigen Schadenhat. Dem deutschen Recht ist – anders als dem anglo-amerikanischen Recht – ein reiner privatrechtlicher Strafschadensersatz fremd. Auch die Abschöpfung eines beim Schädiger entstandenen Gewinns ist mit dem Schadensersatzrecht nur in Ausnahmefällen (z.B. § 97 Abs. 1 S. 2 UrhG) möglich; hierzu dienen auf allgemeiner Basis §§ 687 Abs. 2, 812 BGB. Das Schadensersatzrecht soll zwar auch der Prävention gegen weitere Verletzungen gleicher Art dienen; es will dieses Ziel aber ausschließlich mit dem Ausgleich tatsächlich erlittener Nachteil erreichen. Zunächst ist also immer festzustellen, ob ein ersatzfähiger Schaden vorliegt. Dazu dienen §§ 249 ff. BGB, die für alle Arten von Schadensersatzansprüchen – also sowohl vertragliche als auch deliktische – den möglichen Schadensumfang bestimmen. Schäden sind dabei nur unfreiwillige Vermögensopfer. Der Gegensatz zum Schaden, die freiwilligen Vermögensopfer, nennt man Aufwendungen. Aufwendungen sind nur in geringerem Umfang ersatzfähig, weil hier eine freie Entscheidung des Opfers für die Verursachung der Vermögenseinbuße hinzutritt. Aufwendungen können bei besonderer gesetzlicher Anordnung ersetzt verlangt werden, z.B. § 284 BGB. Ausgangspunkt ist § 249 Abs. 1 BGB: Wer zum Schadensersatz verpflichtet ist, hat den Zustand herzustellen, der bestehen würde, wenn der zum Ersatz verpflichtende Umstand nicht eingetreten wäre.Bei vertraglichen Erfüllungsansprüchen bedeutet dies, der Gläubiger ist so zu stellen, wie er bei ordnungsgemäßer Erfüllung stehen würde. Um diesen Zustand zu ermitteln, haben sich zwei verschiedene, sich nicht ausschließende Ansätze herausgebildet. Die Differenztheorie erkennt als ersatzfähigen Schaden nur die Höhe der Wertdifferenz zwischen einerseits der unmöglichen oder schlechten Leistung und andererseits der erbrachten Leistung des Gläubigers; zusätzlich kann er diese erbrachte Leistung zurückfordern. Die Surrogationstheorie dagegen lässt den Leistungsaustausch unangetastet: der Schuldner behält die bereits erbrachte Leistung des Gläubigers, muss dafür aber vollen Wertersatz für die unmöglich gewordene oder schlecht erbrachte Leistung leisten. Die Differenztheorie hat über vertragliche Ansprüche hinausgehend Bedeutung: sie ist auch bei deliktischen Ansprüchen Ausgangspunkt für die Feststellung eines Schadens. Dabei ist aber zu bedenken, dass beim Vergleich des hypothetischen Zustands ohne Schädigung und dem tatsächlichen Zustand zugunsten des Geschädigten auch Vorteile eingetreten sein können. Ein Vorteilsausgleich bei der Schadensberechnung findet nach der Rechtsprechung aber nur statt, wenn sie dem Geschädigten zumutbar ist, dem Zweck des Schadensersatzanspruch entspricht und der Schädiger nicht unbillig entlastet wird (BGHZ 8, 325, 329 f.; 49, 56, 62; BGH NJW 2004, 3557). Ähnlich liegt die Situation beim Ersatz neu für alt, wenn die beschädigte Sache nach der Reparatur wertvoller ist als vor der Schädigung (z.B. BGHZ 30, 29: abgebranntes Haus wird wieder aufgebaut). Hier handelt es sich aus Sicht des vorrangig zu schützenden Gläubigers um einen aufgedrängten Wertzuwachs, den er nur ausgleichen muss, wenn er ihn sich zunutze macht. BGH, U. v. 14.9.2004 - VI ZR 97/04 |
A. Totalreparation und Naturalrestitution
§ 249 BGB |
Der Grundsatz des § 249 Abs. 1 BGB fordert zum einen die Totalreparation aller Schäden. Selbst bei fahrlässiger Verursachung steht dem Gläubiger ein Ersatz aller Schäden zu (Alles-oder-nichts-Prinzip); eine Einschränkung gibt es prinzipiell nur bei einem Mitwirken des Gläubigers bei der Schadensverursachung (vgl. § 254 BGB; dieses Prinzip steht auch hinter § 300 BGB beim Annahmeverzug). § 252 BGB stellt klar, dass auch der entgangene Gewinn zum ersatzfähigen Schaden bei Totalreparation gehört; hierzu gehört z.B. der Verdienstausfall desGeschädigten. Zum anderen ist nach § 249 Abs. 1 BGB der Zustand herzustellen, der ohne Schädigung bestehen würde. Dadurch kann sich der Schädiger nicht einfach durch Wertersatz als Ausgleich beschränken. Vielmehr hat der Gläubiger einen Herstellungsanspruch, was dem Schuldner – der nach § 249 Abs. 1 BGB selbst zu leisten hat – erheblich größere Anstrengungen bereiten wird als die Zahlung eines Wertersatzes. Dadurch wird das sog. Integritätsinteresse des Gläubigers gewahrt, sein Interesse daran, dass seine Rechtsgüter und Rechte in ihrem konkreten Bestand geschützt sind. Allerdings kann der Geschädigte durch Nachfristsetzung mit Ablehnungsandrohung nach § 250 BGB den Herstellungs- in eine Geldersatzanspruch umwandeln. |
B. Einschränkungen der Naturalrestitution
Ausnahmen |
Der Schuldner kann in vielen Fällen eine Naturalrestitution nicht selbst vornehmen und der Gläubiger hat auch gar kein Interesse hieran (z.B. das im Unfall beschädigte Auto reparieren oder gar das beim Unfall gebrocheneBein des Gläubigers „verarzten“). Für diese Fälle hält § 249 Abs. 2 BGB eine Ausnahmezur Naturalrestitution bereit: bei Verletzung einer Person oder Beschädigung einer Sache kann der Gläubiger anstelle einer Naturalrestitution vom Schuldner auch den Ersatz der für die Herstellung erforderlichen Kosten in Geld verlangen. Ist die Sache zerstört, greift § 251 Abs. 1 BGB. Das Gesetz geht bei § 249 Abs. 2 BGB davon aus, dass es dem Gläubiger nicht zuzumuten ist, sich für Ersatzleistungen auf die Person des Schuldners verlassen zu müssen. Der Umfang des Schadensersatzes gem. § 249 Abs. 2 BGB ist aber nicht auf die eingetretene Wertminderung begrenzt, sondern umfasst alle tatsächlichen Kosten der Heilung (Einschränkung in BGHZ 83, 295) oder Reparatur. So werden auch bei dieser Ausnahme das Herstellungsprinzip und damit der Schutz des Integritätsinteresses bestätigt. In der Praxis greift § 249 Abs. 2 BGB häufig ein. Bei der Beschädigung eines Autos kann der Geschädigte den für die Reparatur oder die Anschaffung eines Ersatzfahrzeugs erforderlichen Geldbetrag behalten und den Minderwert seines Autos hinnehmen (BGHZ 99, 81). Ein Geldersatz für den Nutzungsausfall der zu reparierenden oder zu ersetzenden Sache sieht die Rechtsprechung nur vor, wenn typischerweise von einer Kommerzialisierung ausgegangen werden kann (z.B. bei Autos, das für die Ausfallzeiten auch gemietet werden könnte); nur dann liegt im Nutzungsausfall ein Vermögensschaden (BGHZ 40, 345; 98, 212 zu Häusern). Siehe hierzu auch folgende Entscheidung: BGH, B. v. 9.7.1986 - GSZ 1/86 In anderen Fällen – vor allem bei Unfällen – ist eine Naturalrestitution für niemanden möglich (z.B. Mensch verliert sein Augenlicht, Auto wird vollständig zerstört (sog. technischer Totalschaden)). Hier sieht § 251 Abs. 1 BGB eine Ausnahme des Herstellungsprinzips vor, denn dieses Prinzip ist hier nicht umsetzbar; der Geschädigte muss hier den Verlust eines Rechtsguts hinnehmen. Da aber ein Ausgleich zugunsten des Geschädigten stattfinden muss, findet ein Wertersatz in Geld statt. Ausgeglichen werden aber nur die messbaren wirtschaftlichen Verluste (also Vermögensschäden), nicht dagegen die Nichtvermögensschäden, die nur nach § 253 BGB ersatzfähig sind. Wertersatz einer Sache bedeutet regelmäßig Ersatz des Zeitwerts; diese Begrenzung kann aber gerade beim Totalschaden eines Autos unangemessen sein, weil der Geschädigte sich auf die Nutzung des Autos eingestellt hat und ggfs. für den Zeitwert kein „neues“ Auto bekommen würde. Daher wird in solchen Fällen auf den Wiederbeschaffungswert abgestellt (BGHZ 163, 362, 365). Für den Erwerb eines Gebrauchtwagens als Ausgleich werden von der Rechtsprechung Risiko- oder Zweithandzuschläge als Erweiterungen des Wiederbeschaffungswerts abgelehnt. Siehe hierzu auch folgende Entscheidung: BGH, U. v. 12.7.2005 - VI ZR 132/04 Ergänzt wird der Wertersatzanspruch wegen Unmöglichkeit der Herstellung durch einen Wertersatzanspruch in Geld bei ungenügender Herstellung, § 251 Abs. 1 BGB. Der Übergang zur Unmöglichkeit ist in diesen Fällen fließend, weil die Unzumutbarkeit einer Herstellung für den Geschädigten häufig dann vorliegt, wenn eine Herstellung in den Ursprungszustand nicht zu 100% gelingen kann. An eine ungenügende Herstellung ist zu denken, wenn die Herstellung zwar möglich, aber langwierig ist (vgl. RGZ 76, 174). Ein wichtiges Beispiel ist die erhebliche Beschädigung eines fast neuen Fahrzeugs (bis 1000 km Laufleistung); bei diesem uneigentlichen Totalschaden ist es dem Geschädigten nicht zuzumuten, sich auf eine Reparatur einlassen zu müssen. Ein Ersatz der Herstellungskosten ist aber dann begrenzt, wenn der Schädiger unangemessen durch die Kosten einer Herstellung in den Ursprungszustand belastet würde. Das Alles-oder-Nichts-Prinzip zur Erhaltung des Integritätsinteresses des Opfers kann sich nämlich gerade bei nur fahrlässiger Verursachung für den Schädiger als unzumutbar darstellen. Daher sieht § 251 Abs. 2 S. 1 BGB eine Begrenzung der erstattungsfähigen Kosten auf die verhältnismäßigen „Aufwendungen“ vor. Wichtiges Beispiel ist die erhebliche Beschädigung älterer Fahrzeuge, deren Wiederherstellung häufig teurer ist als die Anschaffung eines vergleichbaren Gebrauchtfahrzeugs (sog. wirtschaftlicher Totalschaden). Erforderlich ist jedoch eine Abwägung mit den Interessen des Opfers notwendig. § 251 Abs. 2 S. 2 BGB besagt, dass bei der Heilbehandlung von Tieren eine Unverhältnismäßigkeit nicht schon bereits bei erheblichem Übersteigen ihres Werts gegeben ist; damit wird hier in erheblichem Umfang bereits vom Gesetz das Interesse des Tierhalters berücksichtigt. Häufiger Fall für die Anwendung des § 251 Abs. 2 S. 1 BGB ist dieBeschädigung eines Autos, wenn die technisch mögliche Reparatur so aufwendig ist, dass die Übernahme der gesamten Kosten durch den Schuldner unangemessen wäre. Die Rechtsprechung geht davon aus, dass die Grenze bei 130% des Wiederbeschaffungswerts bei fachgerecht ausgeführter Reparatur liegt, sog. wirtschaftlicherTotalschaden (BGHZ 115, 364, 372 f.; 162, 161, 170); dann entfällt aber der wirtschaftlich sinnlose Herstellungsanspruch insgesamt und es wird nicht der Schadensersatzanspruch auf die 130% begrenzt. Siehe hierzu auch folgende Entscheidung: BGH, U. v. 15.2.2005 - VI ZR 70/04 |
C. Ersatz von Nichtvermögensschaden
§ 253 BGB |
Nach § 253 Abs. 1 BGB sind Nichtvermögensschäden prinzipiell nicht ersatzfähig; das Schadensersatzrecht will einen Ausgleich für Vermögenseinbußen geben, aber nicht für nichtmessbare Nachteile wie Verlust von Lebensfreude etc. Allerdings ist nach § 253 Abs. 2 BGB ein Schmerzensgeldanspruch in Geld für solche immaterielle Schäden bei Verletzung von Körper, Gesundheit, Freiheit (s. zu diesen Rechtsgütern näher oben) und der sexuellen Selbstbestimmung vorgesehen. Insofern kann auch ein Schmerzens-geldanspruch wegen sog. Schockschäden an der eigenen Gesundheit verlangt werden (BGHZ 93, 351, 354 f., s. dazu oben). Der Schmerzensgeldanspruch soll sowohl Ausgleich als auch Genugtuung für den Gläubiger sein (BGHZ 18, 149). Weitere Schmerzensgeldansprüche können sich aus Spezialgesetzen (z.B. § 97 Abs. 2 UrhG) ergeben, § 253 Abs. 1 BGB. |
D. Mitverschulden
§ 254 BGB |
§ 254 BGB ist die praktisch bedeutsamste Einschränkung des Alles-oder-Nichts Prinzips. Hat der Geschädigte selbst zum Eintritt des Schadens mitgewirkt, was vor allem bei Unfällen eher die Regel als die Ausnahme darstellt (ansonsten wäre ein vollständig verkehrsrichtiges Verhalten des Geschädigten erforderlich), muss er einen angemessenen Anteil an dem Schaden zu tragen. Voraussetzung ist ein eigenes Verschulden des Gläubigers i.S.d. §§ 276 Abs. 1, 278 BGB; eine vertragliche Pflicht- oder Obliegenheitsverletzung genügt nicht. Zudem muss die Handlung des Gläubigers kausal (s. dazu oben) für die Mitverursachung des Schadens gewesen sein. |
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