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Version [20611]

Dies ist eine alte Version von FallVerwRVersammlungradikal erstellt von MGreshake am 2013-02-03 17:50:46.

 

Verwaltungshandeln und Ermessen

Fall:
Der politisch radikale V meldet bei der zuständigen Stadt X eine Versammlung auf dem Rathausplatz im Stadtzentrum an. In der Vergangenheit ist es bei den von V veranstalteten Versammlungen regelmäßig zu Gewalttätigkeiten der Teilnehmer gegen die Polizei und Dritte gekommen. Dies ist auch von V so gewollt, um die Aufmerksamkeit der Medien zu erlangen. Nach Anhörung des A erlässt die Stadt ein Verbot der Versammlung. Begründet wird dies damit, dass erneute Straftaten gegen unbeteiligte Dritte verhindert werden müssen. Zudem seien die politischen Ansichten des V in X unerwünscht. Schließlich wird angeführt, dass bei der Versammlung Polizeikräfte zur Verhinderung von Ausschreitungen und zur Verkehrsregelung eingesetzt werden müssten. Dies sei aber wegen der allgemein knappen Finanzen der öffentlichen Haushalte zu teuer. Aus diesen Gründen habe sich die Stadt zu einem Verbot entschlossen.
Frage: Ist das Versammlungsverbot rechtmäßig?

Auszug auf dem Versammlungsgesetz:
§ 14 VersG
(1) Wer die Absicht hat, eine öffentliche Versammlung unter freiem Himmel oder einen Aufzug zu veranstalten, hat dies spätestens 48 Stunden vor der Bekanntgabe der zuständigen Behörde unter Angabe des Gegenstandes der Versammlung oder des Aufzuges anzumelden.
(2) In der Anmeldung ist anzugeben, welche Person für die Leitung der Versammlung oder des Aufzuges verantwortlich sein soll.
§ 15 VersG
(1) Die zuständige Behörde kann die Versammlung oder den Aufzug verbieten oder von bestimmten Auflagen abhängig machen, wenn nach den zur Zeit des Erlasses der Verfügung erkennbaren Umständen die öffentliche Sicherheit oder Ordnung bei Durchführung der Versammlung oder des Aufzuges unmittelbar gefährdet ist.
(2) Eine Versammlung oder ein Aufzug kann insbesondere verboten oder von bestimmten Auflagen abhängig gemacht werden, wenn
1. die Versammlung oder der Aufzug an einem Ort stattfindet, der als Gedenkstätte von historisch herausragender, überregionaler Bedeutung an die Opfer der menschenunwürdigen Behandlung unter der nationalsozialistischen Gewalt- und Willkürherrschaft erinnert, und
2. nach den zur Zeit des Erlasses der Verfügung konkret feststellbaren Umständen zu besorgen ist, dass durch die Versammlung oder den Aufzug die Würde der Opfer beeinträchtigt wird.
Das Denkmal für die ermordeten Juden Europas in Berlin ist ein Ort nach Satz 1 Nr. 1. Seine Abgrenzung ergibt sich aus der Anlage zu diesem Gesetz. Andere Orte nach Satz 1 Nr. 1 und deren Abgrenzung werden durch Landesgesetz bestimmt.
(3) Sie kann eine Versammlung oder einen Aufzug auflösen, wenn sie nicht angemeldet sind, wenn von den Angaben der Anmeldung abgewichen oder den Auflagen zuwidergehandelt wird oder wenn die Voraussetzungen zu einem Verbot nach Absatz 1 oder 2 gegeben sind.
(4) Eine verbotene Veranstaltung ist aufzulösen.





Das Versammlungsverbot ist rechtmäßig, wenn für das Verbot eine Rechtsgrundlage besteht und die formellen und materiellen Voraussetzungen gegeben sind.

1. Rechtsgrundlage
Rechtsgrundlage für das Verbot einer Versammlung ist § 15 I VersG.

2. Formelle Rechtmäßigkeit
Die Stadt ist nach dem Sachverhalt für die Maßnahme zuständig. Die nach § 28 I VwVfG erforderliche Anhörung wurde durchgeführt. Formfehler sind nicht ersichtlich. Das Verbot ist formell rechtmäßig ergangen.

3. Materielle Rechtmäßigkeit
Zudem müssten die materiellen Rechtmäßigkeitsvoraussetzungen gegeben sein. Voraussetzung dafür ist, dass die tatbestandlichen Voraussetzungen des § 15 I VersG vorliegen und die Behörde ermessensfehlerfrei gehandelt hat.

a) Tatbestandliche Voraussetzungen des § 15 I VersG
Die bevorstehende Versammlung müsste die öffentliche Sicherheit oder Ordnung unmittelbar gefährden, § 15 I VersG. Die öffentliche Sicherheit umfasst unter anderem die Unversehrtheit der Rechtsordnung, insbesondere die Vorschriften des Strafgesetzbuches. Eine Gefahr ist eine Sachlage, die in absehbarer Zeit mit ausreichender Wahrscheinlichkeit zu einem Schaden für die öffentliche Sicherheit oder Ordnung führen wird. In der Vergangenheit wurden auf den Versammlungen des V regelmäßig Straftaten begangen, die auch der Versammlung zuzurechnen waren. Es ist daher mit ausreichender Wahrscheinlichkeit damit zu rechnen, dass es auf der bevorstehenden Versammlung erneut zu Straftaten kommen wird. Eine unmittelbare Gefährdung der öffentlichen Sicherheit ist daher gegeben.

b) Rechtsfolge: Ermessen
Besteht eine unmittelbare Gefährdung der öffentlichen Sicherheit oder Ordnung und ist damit der Tatbestand des § 15 I VersG erfüllt, so kann die Behörde eine Versammlung verbieten. Der Behörde wird in § 15 I VersG Ermessen eingeräumt.

aa) Sind die tatbestandlichen Voraussetzungen erfüllt, so hat die Behörde die Wahl, ob sie die Versammlung verbietet, Auflagen erlässt oder überhaupt keine Maßnahmen trifft. Jede dieser Alternativen ist von § 15 I VersG vorgesehen und daher grundsätzlich rechtmäßig. Die Behörde entscheidet selbstständig, welche Rechtsfolge gesetzt wird. Die Behörde trifft eine sogenannte Zweckmäßigkeitsentscheidung. Dem Gericht ist es im Fall des Ermessens verwehrt zu überprüfen, welche der rechtlich möglichen Maßnahmen die „richtige“ gewesen wäre. Die Auswahl unter den rechtlich zulässigen Verhaltensalternativen ist alleinige Entscheidung der Behörde.

Gemäß § 40 VwVfG sind jedoch die gesetzlichen Grenzen des Ermessens, dass das Ermessen dem Zweck der Ermächtigung entsprechend auszuüben ist, und die gesetzlichen Grenzen der Ermächtigung einzuhalten sind. Dieser Maßstab gilt gemäß § 114 S.1 VwGO auch für die Überprüfung der behördlichen Entscheidung durch das Gericht.
Die gerichtliche Überprüfung beschränkt sich auf die sogenannten Ermessensfehler. Diese werden unterschieden in Ermessensnichtgebrauch, Ermessensüberschreitung und Ermessensfehlgebrauch.
Ein Ermessensnichtgebrauch liegt vor, wenn die Behörde überhaupt kein Ermessen ausübt, das heißt wenn ihr nicht bewusst ist, dass die Entscheidung über eine Maßnahme eine Ermessensentscheidung ist. Eine Ermessensüberschreitung liegt vor, wenn die Behörde eine Rechtsfolge wählt, die nicht mehr im Rahmen der gesetzlichen Vorschriften liegt. Ein Ermessensfehlgebrauch liegt vor, wenn sich die Behörde von Erwägungen leiten lässt, die nicht dem Zweck der gesetzlichen Ermächtigung entsprechen.

bb) § 15 I VersG stellt das Verbot der Versammlung in das Ermessen der Behörde, somit ist hier zu prüfen, ob Ermessensfehler vorliegen, § 40 VwVfG, § 114 S.1 VwGO.

Die Behörde hat ihr Ermessen betätigt, wie sich aus der Begründung des Verbots ergibt. Ein Ermessensnichtgebrauch liegt somit nicht vor. Das Verbot ist eine Rechtsfolge, die in § 15 I VersG vorgesehen ist. Eine Ermessenüberschreitung ist somit ebenfalls ausgeschlossen. Zu prüfen bleibt ein Ermessensfehlgebrauch. Fehlerfrei ist das Ermessen, wenn sich die Behörde von Erwägungen leiten lässt, die dem Zweck der gesetzlichen Ermessenserwägungen entsprechen. Hier hat die Behörde drei Gründe für ihre Ermessensbetätigung angeführt.

(1) Zum einen das Interesse daran, dass keine Straftaten begangen werden. § 15 I VersG schützt die öffentliche Sicherheit und dient daher gerade auch der Verhinderung von Straftaten. Diese Erwägung entspricht dem Zweck der gesetzlichen Ermächtigung.

(2) Weiter wird angeführt, dass die politischen Ansichten des V unerwünscht seien. Fraglich ist, ob dies mit dem Zweck der Ermächtigung des § 15 I VersG vereinbar ist. Wie oben angeführt, dient dieser dem Schutz der öffentlichen Sicherheit und Ordnung. Davon ist jedoch nicht der Schutz bestimmter politischer Ansichten oder von „Mehrheitsansichten“ umfasst.
Die Vertretung und Äußerung politischer Ansichten stellt erst dann eine Gefahr für die öffentliche Sicherheit dar, wenn dies eine Straftat darstellt. Dass die Ansichten des V „radikal“ sind, genügt dafür nicht. Es ist im Sachverhalt nicht ersichtlich, dass die Radikalität in die Nähe von Straftaten führt. Diese Ermessenserwägung entspricht nicht dem gesetzlichen Zweck der Ermächtigung. Zudem stellt es eine Verletzung der Art. 8 I, 5 I GG dar, wenn eine bestimmte politische Ansicht zum Anknüpfungspunkt belastender Verwaltungsmaßnahmen gemacht wird.
Diese Erwägung ist daher ermessensfehlerhaft. Aufgrund dieses Ermessensfehlers ist das Verbot rechtswidrig.

(3) Das Verbot könnte zudem rechtswidrig sein, wenn der angeführte Grund der Kosten eines Polizeieinsatzes ermessensfehlerhaft wäre. Die Ermächtigung nach § 15 I VersG dient der Abwehr von Gefahren für die öffentliche Sicherheit und Ordnung. Diese ist nicht deshalb in Gefahr, weil der Verwaltung bei der Durchführung und dem Schutz von Versammlungen Kosten entstehen. Daher entspricht auch dieser angeführte Aspekt nicht dem Zweck der gesetzlichen Ermächtigung und ist daher ermessensfehlerhaft. Das Verbot ist somit auch aus diesem Grund rechtswidrig.

4. Ergebnis
Das Verbot der Versammlung ist rechtswidrig.



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