Fall: Kinder machen Geschäfte - geliehene Lokomotive
A. Sachverhalt
Die 12-jährigen Schulfreunde Duselig (D) und Schlau (S) spielen bei D Modelleisenbahn, die teilweise mit sehr teuren Zügen ausgestattet ist. Eine Lokomotive im Wert von 200 EUR gefällt dem S besonders, weshalb er D fragt, ob er sie ihm nicht für einige Tage ausleihen könnte. Zwar weiß D, dass seine Eltern dies überhaupt nicht gern sehen, wenn er teure Spielsachen ausleiht, er will dies aber dem S nicht sagen, weshalb er ihm die Lokomotive gibt.
Kurze Zeit später tauscht S die Lokomotive mit dem 19-jährigen Ahnungslos (A) gegen eine Briefmarkensammlung im Wert von 100 EUR. D verlangt von A Herausgabe der Lokomotive.
B. Frage
Kann er das?
Welche anderen Ansprüche hat D und gegen wen?
C. Lösungshinweise
- Lokomotive = Sache (+)
- D Eigentümer
- A Besitzer
- A ohne Recht zum Besitz.
- Schritt 1: ursprünglich war es D (+);
- Schritt 2: wie wirkt sich hier der Umstand aus, dass die Lokomotive ausgeliehen wurde? Eigentumsübertragung ist mit Leihe nicht beabsichtigt, also kann die Übergabe der Lokomotive keinen Eigentumsübergang i. S. d. § 929 BGB zur Folge haben (Einigung darüber, dass Eigentum übergehen soll, kann nicht darin gesehen werden, dass der Besitz nur für eine gewisse Zeit übertragen werden soll); insofern hat D durch Ausleihe und Übergabe das Eigentum nicht verloren (weiterhin +);
- Schritt 3: nach dem Tausch hat A von S die Lokomotive erhalten; dies könnte dazu führen, dass A dadurch Eigentum erworben hat; dies hätte zur Folge, dass D das Eigentum verliert - beide können gleichzeitig nicht Eigentümer sein! Dies ist genauer zu prüfen:
Voraussetzungen der Eigentumsübertragung:
(zum Prüfungsaufbau der Eigentumsübertragung vgl. folgende Struktur)
(1) Einigung
A hat sich mit S darüber geeinigt, dass A die Lokomotive nehmen soll, also auch ihr Eigentümer werden soll. War diese Einigung aber wirksam?
- Problem - beschränkte Geschäftsfähigkeit des S (§ 106 BGB, § 108 BGB)
- aber: es ist nicht seine Lokomotive - deshalb können aus diesem Geschäft für S keine negativen Folgen entstehen; der Vorgang ist als ein neutrales Geschäft anzusehen und damit lediglich rechtlich vorteilhaft i. S. d. § 107 BGB;
(2) Übergabe (+)
(3) Einigsein bei Übergabe (+)
(4) Berechtigung (-), aber gutgläubig?
In diesem Fall spricht § 1006 BGB für A, sonst keine Anhaltspunkte, dass A nicht in gutem Glauben war, also Gutglaubenserwerb gem. § 932 BGB kann grundsätzlich Berechtigung ersetzen.
Problematisch ist lediglich die Frage, inwiefern der Gutglaubenserwerb ausgeschlossen ist, weil die Sache dem Eigentümer abhanden gekommen ist (§ 935 BGB). Zwar hat D die Lokomotive freiwillig aus der Hand gegeben, inwiefern aber sein Wille oder der Wille des gesetzlichen Vertreters maßgeblich sind, wäre genauer zu prüfen. Ein Geschäftsunfähiger kann jedenfalls keine willentliche Übergabe einer Sache vornehmen - im Falle eines beschränkt Geschäftsfähigen (wie bei D) ist die willentliche Übergabe grundsätzlich möglich - lediglich im Falle einer im Einzelfall fehlenden Urteilsfähigkeit kann es an einer willentlichen Übergabe der Sache fehlen. Ein 12-jähriger versteht in der Regel, dass die Weggabe von Gegenständen zum Verlust der Kontrolle über diese führt, auch wenn dies zunächst einmal nur leihweise erfolgen sollte. Insofern ist in diesem Falle eine willentliche Übergabe und damit kein Abhandenkommen anzunehmen. Gutgläubiger Erwerb ist möglich.
2. Andere Ansprüche des D
Weitere Ansprüche des D sind nicht ausgeschlossen - nur das Eigentum hat er nicht:
Weitere Ansprüche des D sind nicht ausgeschlossen - nur das Eigentum hat er nicht:
- D gegen S auf Herausgabe des Erlangten, § 816 BGB
- D gegen S auf Schadensersatz wegen Verletzung von Eigentum, § 823 Abs. 1 BGB
- denkbar auch D gegen S auf Herausgabe der Bereicherung als Anspruch des S (Drittschadensliquidation), aber wohl nicht möglich.
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