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Fallbeispiel: Gesetz gegen Terrorangriffe aus der Luft
A. Sachverhalt
Nach den Angriffen vom 11. September 2001 sieht sich die in der Bundesregierung vertretene Partei X gezwungen, die Handlungsfähigkeit der Staatsmacht im Hinblick auf eventuelle (insbesondere ähnliche wie in New York) Terroranschläge zu stärken. Deshalb bringt der Innenminister (aus der Partei X) den Referentenentwurf für eine Änderung des Luftsicherheitsgesetzes ein, die unter anderem folgende Regelungen vorsieht:
- die Bundespolizei nimmt Aufgaben der Luftsicherheitsbehörde wahr,
- bei Gefahr für Menschenleben durch ein Luftfahrzeug können bei Bedarf Streitkräfte im Luftraum über dem Bundesgebiet eingesetzt werden, nachdem die Bundesregierung dies angeordnet hat,
- die Streitkräfte können im o. g. Fall Luftfahrzeuge zur Landung zwingen, Waffeneinsatz androhen, Warnschüsse abgeben und sogar - nach Abwägung der Chancen und Risiken - ein Flugzeug mit Terroristen und unbeteiligten Personen an Bord abschießen.
Die Regierungsparteien sind sich über den Entwurf nicht einig, insbesondere verhindert die Partei Y einen Kabinettsbeschluss, mit dem das Gesetzgebungsverfahren gestartet werden könnte. Der Kanzler (der zur Partei X gehört) ist empört und entscheidet in dieser "Notsituation" medienwirksam, den Entwurf dem Bundestag zuzuleiten. Da im Bundesrat viele Mitglieder der Partei Y aus den Ländern vertreten sind, wird dieser Entwurf dem Bundesrat nicht zugeleitet, was für zusätzlichen Streit sorgt.
Im weiteren Verlauf des Gesetzgebungsverfahrens einigen sich die Parteien X und Y und vertreten nach der Beschlussfassung im Bundestag eine gemeinsame Linie.
Bei der Ausfertigung des Gesetzes fragt der Bundespräsident, ob er das Gesetz ausfertigen soll.
Frage 1: Ist das Gesetz verfassungsgemäß?
Frage 2: Ist eine aufgrund des neu gefassten Luftsicherheitsgesetzes getroffene Maßnahme der Bundesregierung rechtmäßig?
Frage 3: Darf der Bundespräsident die Ausfertigung des Gesetzes verweigern?
B. Lösungsskizze
1. Frage 1 - Verfassungsmäßigkeit des Gesetzes
Das Gesetz ist verfassungsgemäß, wenn es in formeller und in materieller Hinsicht die Anforderungen der Verfassung erfüllt (vgl. folgende Struktur). Dabei sind die einzelnen, im Sachverhalt angegebenen Regelungen und aus ihnen folgende Problembereiche des Gesetzes einzeln zu prüfen.
a. Formelle Verfassungsmäßigkeit
Ein Gesetz ist formell verfassungsgemäß, wenn:
- der Gesetzgeber (Bund oder Land) zuständig war,
- es im korrekten Verfahren erlassen wurde,
- die übrigen Formanforderungen beachtet wurden,
vgl. auch die (Baumstruktur).
Im Sachverhalt wird auf konkrete Verfahrensfehler hingewiesen, die zu untersuchen sind. Im Übrigen ist zu prüfen, inwiefern der Bund zuständig war, das Gesetz zu erlassen. Dabei ist zwischen den materiellen Vorschriften des Gesetzes und den für das Verwaltungsverfahren maßgeblichen Vorschriften zu unterscheiden.
Im Einzelnen sind hier bei der Frage der Gesetzgebungskompetenz folgende Elemente des Gesetzes zu unterscheiden:
- allgemeine Regelung der möglichen Maßnahmen im Luftverkehr,
- Regelung der Verwaltungszuständigkeiten im Bereich der Luftsicherheit (Zuweisung zur Bundesverwaltung).
Der Bund ist im Rahmen der ausschließlichen Kompetenz nach Art. 73 I Nr. 6 GG zuständig - eine allgemeine "Gefahrenabwehrkompetenz" der Länder (normalerweise bei Ländern) ist vom Bundesverfassungsgericht nicht anerkannt. Also Luftverkehr auch hinsichtlich der Gefahrenabwehr = Art. 73 I 6) GG. Im Hinblick auf die Regelung der Verwaltung ist der Bund nach Art. 87d I 1 GG zuständig (so Bundesverfassungsgericht).
Das Verfahren war laut Sachverhalt - bis auf "misslungenen Start" ordnungsgemäß (insbesondere Beschluss des Bundestages und Mitwirkung des Bundesrates im Ergebnis unproblematisch). Also insgesamt "nur" Verstoß gegen Art. 76 GG festzustellen. Damit aber formelle Verfassungswidrigkeit festzustellen.
Zwischenergebnis: Das Gesetz verstößt gegen die Verfassung im Hinblick auf das Gesetzgebungsverfahren.
2. Frage 2: Rechtmäßigkeit der Maßnahmen auf der Grundlage des Gesetzes
Eine Maßnahme des Bundesgrenzschutzes oder einer anderen Behörde auf der Grundlage des geänderten Luftsicherheitsgesetzes ist rechtmäßig, wenn die Behörde das Gesetz richtig angewendet hatte, insbesondere auf der Grundlage einer gültigen Ermächtigungsnorm gehandelt hatte. Eine solche Ermächtigung kann sich aus einem Gesetz nicht ergeben, das unwirksam ist.
Es kommt also darauf an, ob das Gesetz wirksam bzw. gültig ist. Die Gültigkeitsvoraussetzungen sind anders zu bewerten, als die der Verfassungsmäßigkeit. Nicht jeder (formeller) Verfassungsverstoß führt zur Unwirksamkeit des Gesetzes. Die oben geprüften Anforderungen sind unbeachtlich. Die formellen Gültigkeitsvoraussetzungen eines Gesetzes regelt Art. 78 GG.
Neben den formellen Anforderungen an die Wirksamkeit eines Gesetzes führen materielle Verfassungsverstöße grundsätzlich zur Unwirksamkeit. Es kommt also darauf an, ob das Gesetz materiell verfassungsgemäß ist.
Zu unterscheiden sind:
- Zuweisung der Verwaltungsaufgabe zur Bundesverwaltung
- die Verwendung konkret des Bundesgrenzschutzes für Aufgaben im Luftverkehr
- der Einsatz der Streitkräfte
- Vereinbarkeit der zugelassenen Maßnahmen mit Grundrechten
a. Zuweisung der Verwaltungsaufgabe zur Bundesverwaltung
Art. 87d I 1 GG lässt nach Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts es zu, Luftverkehrssicherheit an Bundesbehörden als Leftverkehrsverwaltung zu übergeben. Art. 87d II GG steht nicht im Wege, falls die Aufgabe einmal auf Länder übertragen wurde und der Bund diese Aufgabe wieder an sich zieht. Also verfassungsgemäß.
b. Verwendung des BGS
Kein Verbot, den Bundesgrenzschutz auch anders, als zum Grenzschutz i. e. S. einzusetzen. Auch eine allgemeine Polizei des Bundes ist nicht verboten, auch wenn nur dann zulässig, wenn Bezug zum gesamten Bundesgebiet feststellbar, also Charakter der Sonderpolizei des Bundes für die Landesgrenzen überschreitende Aufgaben erhalten bleibt.
c. der Einsatz der Streitkräfte
Sofern der Einsatz gegen Terrorangriffe ein Einsatz ist, dann ist dieser nur als
- Verteidigung oder
- in anderen ausdrücklich vorgesehenen Fällen des GG zulässig.
Da Verteidigung nur gegen militärische, kriegerische Schläge denkbar ist (auch wenn Verteidigungsbegriff viele Auslegungsprobleme aufwirft - vgl. Art. 115a GG, Art. 91 GG, Art. 26 GG), wäre eine andere ausdrückliche Ermächtigung im Grundgesetz notwendig. Denkbar wären:
- Art. 35 II GG, dessen Auslegung (Naturkatastrophe, Hilfeleistung) jedoch zeigt, dass eine "texttreue" Begründung des Einsatzes nicht möglich ist;
- Art. 87a IV GG, wo allerdings eine Gefahr für den Bestand des Bundes oder für dessen freiheitliche demokratische Ordnung fehlt;
Sonstige Regelungen könnten noch geprüft werden, sind aber im Ergebnis nicht anwendbar.
d. Vereinbarkeit mit Grundrechten
Ausgangspunkt der Betrachtung ist, dass das Gesetz die Möglichkeit vorsieht, im Extremfall auch den Tod der im entführten Flugzeug sitzenden Personen in Kauf zu nehmen, sofern dadurch eine größere Katastrophe verhindert werden kann.
Der Abschuss der Terroristen allein ist problematisch, lässt sich aber mit Gefahrenabwehr als ultima ratio begründen (es ist keine Todesstrafe, Art. 102 GG). Je nach Ausgestaltung der Vorschrift kann ein Verstoß gegen Art. 1 GG vorliegen - infolge "Quantifizierung von Menschenleben". Es sprechen auch Argumente dafür, eine ausgewogene Regelung unter Umständen zuzulassen.
3. Frage 3: Verweigerung der Ausfertigung
vgl. Schwerdtfeger Rn. 657 ff.
C. Literatur
vgl. den ausführlichen Lösungsvorschlag eines ähnlichen Falls unter http://www.saarheim.de/Faelle/luftangriff-loesung.htm
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