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B. Geschichtlicher Hintergrund der aktuellen Rechtslage
Im EnWG wurden zahlreiche Veränderungen durch den Gesetzgeber durchgeführt, sodass bestehende Begriffe im Zuge der unterschiedlichen EnWG Novellen neu definiert wurden. Zum besseren Verständnis der heutigen Lage sollen in diesem Kapitel nun die geschichtlichen Kernpunkte, die zum EnWG 2011 geführt haben, erläutert werden.
1. Arealnetze zur Zeit des EnWG 1998
Zur Zeit des EnWG 1998 waren Ausnahmen von den Entflechtungsvorschriften nur bei Betreiben eines Netzes zur Eigenversorgung zulässig. [1] Nicht zu verwechseln mit den Eigenversorgungsnetzen waren die sogenannte Arealnetze.[2] Diesem Begriff konnte keine eigenständige Bedeutung zugeordnet werden. [3] In der Literatur werden alle Netze als Arealnetze definiert, die nicht der gemeindlichen Versorgung im Rahmen der Daseinsvorsorge dienen. [4] Erst durch den Beschluss des BKartA von 08.10.2003 wurden die Begrifflichkeiten näher definiert.[5] Darin versteht man unter ,"Areal" eine Liegenschaft mit Wohn- und/oder Gewerbebebauung, auf der mehrere Endkunden an eine ganz oder überwiegend auf dieser Liegenschaft errichtete Energie- bzw. Arealnetzanlage zum Zwecke der Stromversorgung angeschlossen waren. [6] Dabei beinhaltete eine Arealnetzanlage die Umspannung zwischen Mittel- und Niederspannung und dem Hausanschluss. [7] Als eigenständiges Geschäftsmodell wurden Arealnetze häufig von Unternehmen betrieben, die es entweder selbst errichtet oder die es vom Eigentümer erworben oder gepachtet hatten. [8] In diesem Zusammenhang stellte das BKartA fest, dass die Mainova AG ihre marktbeherrschende Stellung missbräuchlich ausnutzte, indem sie den Netzanschluss an ihr Mittelspannungsnetz verweigerte und dadurch gegen §~19 IV Nr. 4 GWB verstoßen hatte. Die Mainova AG war Inhaberin des Elektrizitätsversorgungsnetzes in ihrem Netzgebiet und nahm durch die geografische Lage eine marktbeherrschende Stellung für Netznutzungsleistungen ein. Dadurch war der Betrieb von nachgelagerten Arealnetzen und die Belieferung von Stromkunden auf diesem Areal nur über die Nutzung einer oder mehrerer Spannungsebenen des Verteilernetzes der Mainova AG möglich. Ohne einen Anschluss an das Verteilernetz der Mainova AG gab es für die GETEC net GmbH und die EVO keine Möglichkeit, auf dem nachgelagerten Markt für Planung, Errichtung/Pacht/Erwerb und Betrieb von Arealnetzanlagen als Anbieter aufzutreten.
Daraufhin legte die Mainova AG Beschwerde beim OLG Düsseldorf ein, der wiederum diese mit Beschluss vom 23.06.2004 zurückwies. [9] Das Gericht hielt die Verfügung des BKartA für begründet. [10] Zudem stellte das Gericht im Hinblick auf die Einordnung des Netzes als Netz für die allgemeine Versorgung fest, dass sie unter anderem vorliegt, wenn die erklärte Bereitschaft und die Fähigkeit eines Energieversorgungsunternehmens gegeben ist, jedermann unabhängig von seiner Individualität und seiner räumlichen Nähe an ein Netz anzuschließen und mit Energie zu beliefern. [11] Hieran mangelt es oftmals Arealnetzbetreibern, vor allem dann, wenn das Areal lediglich aus einem einzigen oder aus wenigen Grundstücken besteht.[12] Im vorliegenden Fall plante die Mainova AG das Areal auf weitere 1100 Wohneinheiten zu erweitern und konnte dementsprechend als allgemeiner Versorger angesehen werden. [13] Die Rechtsbeschwerde gegen den Beschluss des OLG Düsseldorf wurde darauf vom BGH mit Beschluss vom 28.06.2004 zurückgewiesen. [14]
Nach den aufgezeigten Entscheidungen stand fest, dass das Arealnetz zu einem Netz der allgemeinen Versorgung werden sollte, wenn es in seiner Funktion mit einem solchen Netz vergleichbar ist. [15] Wenn das Areal wiederum lediglich aus einigen oder wenigen Grundstücken bestand und nur wenige Kunden beliefert wurden, so war die Bezeichnung als Netz der allgemeinen Versorgung ausgeschlossen. [16]
2. Objektnetze zur Zeit des EnWG 2005
Kurze Zeit nach der Verkündung des BGH Beschlusses im Falle der Mainova AG [17] trat das zweite Änderungsgesetz zur Neuregelung des Energiewirtschaftsrechts in Kraft. [18] Erstmals wurde im § 110 EnWG 2005 eine Ausnahmebestimmung über kleinere, private Netze enthalten. Ursprünglich sollte es laut Gesetzesbegründung für diese Art von Netzen der Begriff des Werknetzes verwendet werden. [19] Grund hierfür war, dass die Vorschrift sich vorwiegend auf industrielle Energieversorgungsnetze bezieht, die als Kundenanlagen aufWerksgeländen zur Durchführung einer unternehmensinternen Energieversorgung errichtet worden sind. [20] Letztlich wurde in der Endphase des Gesetzgebungsverfahrens der Entwurf des § 110 EnWG überarbeitet und der Begriff des Werknetzes durch Objektnetze ersetzt. [21] Werksnetze sollten gem. § 110 EnWG i.d.F. des EnWG-Entwurfs [22] solche Energieversorgungsnetze sein, die sich „auf einem räumlich zusammengehörende[m]Werksgebiet” befinden und „überwiegend dem
Transport von Elektrizität oder Gas innerhalb des eigenen Unternehmens oder zu im Sinne des § 3 Nr. 38 EnWG verbundenen Unternehmen und nicht der allgemeinen Versorgung dienen”. Objektnetze hingegen sind gem. § 110 I EnWG 2008 Energieversorgungsnetze
die sich auf einem
- räumlich zusammengehörenden Betriebsgebiet befinden sowie überwiegend dem Transport von Energie innerhalb des eigenen Unternehmens oder zu im Sinne des § 3 Nr. 38 verbundenen Unternehmens dienen,
- räumlich zusammengehörenden privaten Gebiet befinden und dem Netzbetreiber oder einem Beauftragten dazu dienen, durch einen gemeinsamen übergeordneten Geschäftszweck, der über reine Vermietungs- und Verpachtungsverhältnisse hinausgeht, und durch die Anwendung der im einleitenden Satzteil genannten Bestimmungen unzumutbar erschwert würde, bestimmbare Letztverbraucher mit
- räumlich eng zusammengehörenden Gebiet befinden und überwiegend der Eigenversorgung
sofern das Energieversorgungsnetz nicht der allgemeinen Versorgung im Sinne des § 3 Nr. 17 dient und der Betreiber des Objektnetzes oder sein Beauftragter die personelle, technische und wirtschaftliche Leistungsfähigkeit besitzen, um den Netzbetrieb entsprechend den Vorschriften dieses Gesetzes auf Dauer zu gewährleisten.
Hintergrund der Änderung der Terminologie war dabei die Frage, ob Netze zur Energieversorgung von Einkaufszentren, Wohn- und Gewerbeparks, Flughäfen und Bahnhöfen ebenfalls privilegiert werden müssten.[23] Betreiber dieser Objektnetze waren nach § 110 I EnWG 2005 von den Verpflichtungen der Teile 2 und 3 (§§ 6 ff. und 11ff. EnWG 2005) sowie den Vorgaben der §§ 4, 52 und 92 EnWG 2005 befreit. § 110 EnWG 2005 beinhaltete eine Unterteilung in drei Gruppen von Netzen: Betriebsnetze nach § 110 I Nr. 1 EnWG 2005, Dienstleistungsnetze nach § 110 I Nr. 2 EnWG 2005 und Eigenversorgungsnetze nach § 110 I Nr. 3 EnWG 2005.
Durch die Entscheidung des EuGH vom 22. Mai 2008 wurde im Verlauf des Vorabentscheidungsverfahrens die Gemeinschaftswidrigkeit des § 110 I Nr. 1 EnWG 2005 festgestellt. [24] Vorgelegt hatte das OLG Dresden mit Äußerung von Zweifel der Europarechtskonformität des § 110 I Nr.1 EnWG 2005 mit Artikel 20 I der Richtlinie 2003/54/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26.06.2003. [25] In Streit stand dabei die Einstufung des Flughafens Leipzig/Halle als Objektnetz. Der EuGH stellte fest, dass in der Richtlinie 2003/54/EG nur zwischen Übertragungs- und Verteilernetze unterschieden wird. [26] Die Übertragung und die Verteilung schließen die Versorgung nicht ein. [27] Der EuGH stellte daraufhin fest, dass der Flughafen Leipzig/Halle als Verteilernetz i.S. von Art. 2 Nr. 5 der Richtlinie 2003/54/EG und nicht als Übertragungsnetz einzustufen ist. [28] Damit unterlag das betroffene Stromnetz den allgemeinen Verpflichtungen ohne, dass die für Verteilernetze gelten. Nach Auffassung des EuGH unterfiel § 110 I Nr. EnWG 2005 auch keiner expliziten Ausnahme. Die Möglichkeit eines Verteilernetzbetreibers, den Netzzugang mangels ausreichender Kapazität i.S.d. Art. 20 II der Richtlinie 2003/54/EG zu verweigern, ist jedoch auf den Einzelfall bezogen und berechtigt die Mitgliedstaaten nicht dazu solche Ausnahmen generell vorzusehen, ohne dass, im Einzelfall für den jeweiligen Betreiber die fehlende technische Kapazität des Netzes für den nachgefragten Zugang Dritter beurteilt wird.[29] Zusätzlich war die Ausnahme gem. Art. 3 VIII der Richtlinie 2003/54/EG zugunsten der Sicherstellung gemeinwirtschaftlicher Verpflichtungen nicht einschlägig, weil § 110 EnWG 2005 derartige Gründe nicht berücksichtigte und auch die Erforderlichkeit einer Ausnahme gar nicht erst geprüft wurde. [30] Im Art. 26 I der Richtlinie 2003/54/EG wurde vorgesehen, dass Mitgliedstaaten, die nachweisen können, dass sich für den Betrieb ihrer kleinen, isolierten Netze erhebliche Probleme ergeben, Ausnahmeregelungen zu verschiedenen Bestimmungen der Richtlinie 2003/54/EG, darunter Art. 20, beantragen können. Jedoch hatte die Bundesrepublik Deutschland die hierfür notwendige Zustimmung der Kommission in Form einer Entscheidung, die im Amtsblatt der Europäischen Union veröffentlicht wird, weder beantragt, noch wurde ihr von der Kommission eine solche gewährt. [31]
Infolge dieses Urteils des EuGH bestand die Frage für die obergerichtliche Rechtsprechung, ob und inwieweit die Objektnetzprivilegierung des § 110 EnWG 2005 noch angewendet werden kann, oder ob sie wegen Unvereinbarkeit mit europäischem Recht insgesamt unanwendbar ist.[32] Eine Klarstellung erfolgte erst durch den Beschluss des BGH vom 24.08.2010. [33] Darin stellte der BGH fest, dass § 110 I Nr. 1 EnWG nur insoweit unvereinbar mit dem europäischen Recht ist, wie er den Anspruch auf Netzzugang Dritter beeinträchtigt. [34] Demzufolge waren die Betreiber von Objektnetzen i.S.d. § 110 EnWG 2005 von Regulierungsanforderungen, die nicht den Netzzugang betrafen, befreit. [35]
3. Aktuelle Rechtslage mit den EnWG 2011
Infolge der Europarechtswidrigkeit der Objektnetze wurde durch die EnWG Novelle 2011 u.a. § 110 EnWG neu gefasst. Um eine Unionsrechtswidrigkeit vorzubeugen, wurde der Wortlaut des Art. 28 EltRL 2009 fast 1:1 in den neuen § 110 EnWG übernommen. Dadurch wurde der Begriff der Objektnetze aufgegeben, um es durch ,"geschlossene Verteilernetze'" zu ersetzen.[36] Statt einer kompletten Befreiung der Regulierungspflichten, bestehen bei Anerkennung von geschlossenen Verteilernetzen nur noch bestimmte einzelne Befreiungen von einzelnen Bestimmungen. [37] Eine komplette Befreiung der Regulierungsvorgaben besteht bei Kundenanlagen bzw. Kundenanlagen zur betrieblichen Eigenversorgung mit den neu entstandenen § 3 Nr. 24a und 24b EnWG.
[1] Nicole Angenendt und Franz Jürgen Säcker, Hrsg. (2014). Berliner Kommentar zum Energierecht. 3.,
völlig neu bearb. und wesentlich erw. Aufl. Berliner Kommentar. Frankfurt am Main: Dt. Fachverl. Fachmedien Recht und Wirtschaft, § 110, Rn. 11.
[2] Angenendt und Säcker, Berliner Kommentar zum Energierecht, § 110, Rn. 12.
[3] Christian Theobald und Christiane Nill-Theobald (2013). Grundzüge des Energiewirtschaftsrechts: Die Liberalisierung der Strom- und Gaswirtschaft. 3. Auflage. München: C.H.Beck, S. 240.
[4] Hanna Schroeder-Czaja und Ulf Jacobshagen (2006). “Objekt- und Arealnetze (Teil 1): Neue Netzbegriffe vor dem Hintergrund des EnWG 2005”. In: IR 3, S. 50–54, S. 53.
[5] BKartA vom 08.10.2003, B11-4000-T-12/03, BeckRS.
[6] BKartA vom 08.10.2003, B11-4000-T-12/03, BeckRS 152682,Rn.11.
[7] BKartA vom 08.10.2003, B11-4000-T-12/03, BeckRS 152682,Rn.11.
[8] Angenendt und Säcker, Berliner Kommentar zum Energierecht, § 110, Rn. 12.
[9] OLG Düsseldorf vom 23.06.2004, Kart 35/03 (V), Juris.
[10] OLG Düsseldorf vom 23.06.2004, Kart 35/03 (V), Juris Rn. 17.
[11] OLG Düsseldorf vom 23.06.2004, Kart 35/03 (V), Juris Rn. 34.
[12] OLG Düsseldorf vom 23.06.2004, Kart 35/03 (V), Juris Rn. 34.
[13] OLG Düsseldorf vom 23.06.2004, Kart 35/03 (V), Juris Rn. 34ff.
[14] BGH vom 28.06.2005, KVR 27/04, WRP 2005, 1278-1283.
[15] Birgit Ortlieb u. a., Hrsg. (2014). Praxishandbuch Geschlossene Verteilernetze und Kundenanlagen:
Auswirkungen des EnWG. De-Gruyter-Praxishandbuch. Berlin: De Gruyter, 8, Rn. 15.
[16] Ortlieb u. a., Praxishandbuch Geschlossene Verteilernetze und Kundenanlagen: Auswirkungen des
EnWG, 8, Rn. 15.
[17] BGH vom 28.06.2005, KVR 27/04, WRP 2005, 1278-1283.
[18] Vom 13.Juli 2005, BGBl. 2005 I, S. 1970.
[19] BT-Drs. 15/3917, S. 37.
[20] BT-Drs. 15/3917, S. 75.
[21] Vom 13.Juli 2005, BGBl. 2005 I, S. 1970.
[22] BT-Drs. 15/3917, S. 37.
[23] Angenendt und Säcker, Berliner Kommentar zum Energierecht, § 110, Rn. 14.
[24] EuGH vom 22.05.2008, C-439/06, EuZW 2008, 406.
[25] OLG Dresden vom 22.05.2008, W 1109/06 Kart, BeckRS 2007, 8856.
[26] EuGH vom 22.05.2008, C-439/06, EuZW 2008, 406, Rn. 45.
[27] EuGH vom 22.05.2008, C-439/06, EuZW 2008, 406, Rn. 45.
[28] EuGH vom 22.05.2008, C-439/06, EuZW 2008, 409, Rn. 54.
[29] EuGH vom 22.05.2008, C-439/06, EuZW 2008, 409, Rn. 57.
[30] EuGH vom 22.05.2008, C-439/06, EuZW 2008, 409, Rn. 60-61.
[31] EuGH vom 22.05.2008, C-439/06, EuZW 2008, 409, Rn. 63.
[32] BGH vom 11.11.2008, EnVR 1/08, BeckRS 2009, 01766; OLG Dresden vom 10.03.2009,
W1109/06, NJOZ 2009, 1591; OLG Naumburg vom 28.12.2009, 1W35/06, BeckRS 2010, 1735.
[33] BGH vom 24.08.2010, EnVR 17/09, NVwZ-RR 2011, 55.
[34] BGH vom 24.08.2010, EnVR 17/09, NVwZ-RR 2011, 55, Rn. 9.
[35] Heidrun Schalle (2011). “Geschlossene Verteilernetze und Kundenanlagen - neue Kategorien im EnWG”. In: ZNER 4, S. 406–411, S. 406.
[36] Angenendt und Säcker, Berliner Kommentar zum Energierecht, § 110, Rn. 18.
[37] Angenendt und Säcker, Berliner Kommentar zum Energierecht, § 110, Rn. 18.
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